Silberband 086 - Inferno der Dimensionen
rechnen, dass Hsiao Li Tsen die Entwicklung für zu gefährlich hielt und das Feuer eröffnen ließ. Mit weit ausgreifenden Sätzen überquerte er die Straße. Einmal fauchte eine Strahlsalve hinter ihm her, verfehlte ihn aber um mehrere Meter.
Sein Ziel war die Befehlszentrale. Trotzdem musste er die Verfolger abschütteln, wenn er die Bürger von Ihsien nicht verraten wollte. In raschem Lauf hetzte er ein Stück weit den westlichen Hang hinauf, bevor er ins Tal zurückkehrte. Der Lärm der Verfolger war hinter ihm zurückgeblieben. Langsamer als bisher setzte er seinen Weg fort. Das Haus mit der Befehlszentrale wuchs aus der Dunkelheit vor ihm auf. Er schritt an einem Gebüsch vorbei, hörte ein verdächtiges Rascheln und blieb wie angewurzelt stehen.
Eine schmale Gestalt löste sich aus dem Schatten. »Hsiao …!«, entfuhr es Bull.
»Es ist meine Geringfügigkeit«, bestätigte der Alte in der zeremoniellen Sprache seiner Ahnen.
Bull schob die Waffe wieder in den Gürtel. »Es ist gefährlich, alleine in der Nacht umherzuwandern«, sagte er vorwurfsvoll. »Um ein Haar hätte ich auf Sie geschossen.«
»Ich durfte mich auf Ihre schnelle Reaktion verlassen«, hielt ihm der Alte bescheiden entgegen. »Ich habe alte, aber gute Ohren. Sie sind Reginald Bull, der Staatsmarschall?«
Bully empfand tiefe Bewunderung für den alten Mann. Es mochte sein, dass er gute Ohren hatte, doch die Entfernung von hier bis zu dem Ort, an dem sein Name laut geworden war, war zu groß. Hsiao Li Tsen musste also vor Ort gewesen sein – er, der nicht einmal den harten Griff eines Ka-zwo unbeschadet überstanden hätte!
»Ja, ich bin Reginald Bull!«
Hsiao Li Tsen verneigte sich ehrfürchtig. »Ich bedauere, dass die Umstände Sie davon abhielten, Ihr Geheimnis vor mir zu lüften«, sagte er halblaut. »Jetzt, da der Feind Ihren Namen herausposaunt hat, werden Sie mir glauben, dass ich Ihr Inkognito zu wahren bereit bin, solange Sie es wünschen. Ich habe in meiner Jugend das Licht der heimischen Sonne noch gesehen. Ich kenne das Ausmaß des Unglücks, das die Menschheit befallen hat. Sie sind Repräsentant einer Ordnung, die ich verehre. Bitte akzeptieren Sie diese Versicherung als Zeichen meiner Ergebenheit.«
Er verneigte sich abermals, Reginald Bull suchte vergeblich nach Worten. Schließlich sagte er: »Ich danke Ihnen. Lassen Sie uns zu den andern zurückkehren! Die Gegner dürfen nicht in die Stadt eindringen!«
Der Alte ging voran. In der Befehlszentrale herrschte erwartungsvolles Schweigen. Auf den Schirmen war zu sehen, dass eine Gruppe von Robotern die Straße herabkam und die am nördlichen Stadtrand liegenden Grundstücke schon hinter sich zurückgelassen hatte. Wenn der Feind erst einmal in die Stadt eingedrungen war, würde es schwierig sein, ihn wirksam unter Beschuss zu nehmen.
Alle schauten auf Hsiao Li Tsen. »Ich gebe das Feuer frei!«, sagte der Alte laut und kräftig.
Beim ersten Feuerstrahl aus den Mündungen der in den Hügeln installierten Geschütze wandten sich die Aphiliker zur Flucht. Die Fahrzeuggruppe auf der anderen Seite des Tals wurde gleichzeitig angegriffen. Keinem der Eindringlinge gelang die Flucht. Die Geschütze arbeiteten zielsicher. Die Entschlossenheit der Bürger von Ihsien, ihr kleines Paradies zu verteidigen, kannte kein Erbarmen, durfte kein Erbarmen kennen.
Erst als das Geschützfeuer verstummt war, trauten sich die Leute wieder aus ihren Häusern. Sie bestaunten die nachglühenden Roboterwracks. Auf Seiten der Verteidiger hatte es keine Verluste gegeben, nicht einmal ein Haus war beschädigt worden.
Nach Mitternacht kehrte Wang Yü Chi von seiner Fahrt zurück. Er hatte bemerkt, dass es im Tal nicht mit rechten Dingen zuging, und hatte zunächst in sicherer Entfernung angehalten. So groß war sein Vertrauen in die Verteidigungskraft, dass er, als die Geschütze schwiegen, auf geradem Weg in die Stadt flog, ohne sich vorher zu vergewissern, ob die Gefahr wirklich schon beseitigt war.
Die Versammlung in der Befehlszentrale löste sich auf. Als Zeichen seiner Ehrfurcht begleitete Hsiao Li Tsen Reginald Bull nach Hause. Unterwegs sagte er: »Ich weiß nicht, ob es mir durch Nennung Ihres Namens gelingen würde, Wang Yü Chi zur Preisgabe seines Geheimnisses zu bewegen. Aber wenn Sie wünschen, kann ich es versuchen.«
Reginald Bull schüttelte den Kopf. »Es ist weder notwendig noch nützlich«, stellte er fest. »Was Wang weiß, werde ich in Kürze herausfinden, auch ohne ihn
Weitere Kostenlose Bücher