Silberband 095 - Mensch aus dem Nichts
winzige blitzende Einschlüsse, die sich als Kameraobjektive entpuppten.
Kershyll Vanne wusste von dem Moment an, dass er beobachtet wurde.
»Und das in meinem Alter!« Hathor Manstyr jammerte ausgiebig und rieb sich die Gelenke.
In der Programmierung des Vario-500 gab es keine Fehler. Wenn der Roboter in eine Maske schlüpfte, dann wurde diese Maske echt. Es war ausgeschlossen, dass der Vario in der Rolle des Kaisers Anson Argyris Stunden vor einem Schminktisch zubrachte oder, als junge Frau verkleidet, unmäßig trank oder schauerlich fluchte. Nur wenn es nicht zu vermeiden war, gab der Roboter die Standardprogrammierung auf und besann sich auf sein wahres Innenleben.
Hathor Manstyr jammerte und fluchte. Er war weit über hundert Jahre alt und gebrechlich, die Gicht hatte seine Gelenke verändert. Mit eckigen Bewegungen schob er seine Prothese an die richtige Stelle zurück, immer wieder lockerte sich das uralte künstliche Gebiss und drohte aus dem Mund zu fallen.
Selbst jetzt, da er allein war, behielt der Vario seine Rolle bei. Ein gichtbrüchiger Alter wankte durch die Gänge und stieß endlich auf einen der zahlreichen Räume, von denen aus ein Sachkundiger den Zustand des gesamten unterolympischen Labyrinths kontrollieren konnte.
Nacheinander ging der Vario die Sektionen seines Reiches durch. Während er geruht hatte, waren die Laren auf ein Lebensmittellager gestoßen und hatten es geplündert. Den Trick aber, der ihnen Zugang zu weiteren Bereichen der ausgedehnten Anlagen verschafft hätte, hatten sie nicht herausgefunden.
Endlich entdeckte der Vario-500 den Eindringling. Erstaunt nahm er zur Kenntnis, dass es sich nicht um einen Laren, sondern um einen Menschen handelte.
Der Fremde war etwa einen Meter neunzig groß, hatte eine schlanke Statur, und seine Bewegungen verrieten, dass er durchtrainiert war und die Muskulatur sinnvoll einzusetzen verstand. Sein Alter schätzte der Vario auf etwa vierzig Jahre. Das Gesicht war ebenmäßig, eine gradrückige Nase und dunkle, lockige Haare vervollständigten das Bild.
»Was will er?«, rätselte Manstyr. Zu der Kokonmaske des alten Mannes gehörte als Verhaltensstereotyp, dass er häufig Selbstgespräche führte und sich oft über sein hartes Los beklagte.
Was der Vario-Grundkörper an Wissen barg, hätte ihn dazu befähigt, mehrere Studiengänge an terranischen Hochschulen mit Bravour zu absolvieren. Deshalb erkannte Manstyr sofort, dass der Fremde offenkundig nicht wusste, wo er sich befand. Und es lag auf der Hand, dass der Eindringling Schwierigkeiten mit dem Labyrinth hatte. Für ein logisch denkendes Wesen gab es den Zwang, sich den Rückweg zu sichern, aber der Fremde brachte keinerlei Markierungen an.
»Entweder hat er ein fotografisches Gedächtnis, oder es ist ihm egal, wohin er läuft.« In Manstyrs heiserer Stimme schwang Skepsis mit.
Der Unbekannte war kein Arkonide, also verfügte er mit Sicherheit über kein Extrahirn. Menschen mit einem fotografischen Gedächtnis waren jedoch außerordentlich rar. Zudem – der Vario registrierte jeden Schritt und sublimierte die Bewegungen – verhielt sich der Mann nicht so, als habe er ein überragend gutes Gedächtnis.
Es gab für Hathor Manstyr nur eine Möglichkeit, der Ungewissheit ein Ende zu bereiten – er musste den Fremden festnehmen und verhören. »Nichts leichter als das«, kicherte der Alte und hustete unterdrückt. »Diese Kälte hier unten bringt mich noch um!«
Wenige Schaltungen genügten, um das Labyrinth in eine Ansammlung von Fallen zu verwandeln, die teilweise so speziell waren, dass der Vario sich fragen musste, ob er selbst eine Chance gehabt hätte, sein eigenes Sicherheitssystem zu durchbrechen. Er nahm die Aktivierung aber nur für den Bereich vor, in dem sich der Eindringling befand.
Gequält schnaufend machte sich der alte Mann auf den Weg zu seinem Gefangenen.
Kershyll Vanne hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er sich befand. Instinktiv hoffte er, dass er Gäa erreicht hatte. Aus der Größe der Korridore ließ sich ablesen, dass sie für Wesen gebaut worden waren, die etwa seine Statur hatten. Als er den ersten Sensor erreichte – der nichts weiter bewirkte als ein Abdimmen der Beleuchtung –, stand für das Konzept fest, dass dieses Gangsystem von Menschen gebaut worden war.
Gerade noch rechtzeitig spürte Vanne, dass unter seinem linken Fuß der Widerstand schwand. Blitzschnell stieß er sich mit dem anderen Bein ab und schnellte vorwärts. Alles ging
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