Silberband 096 - Die Gravo-Katastrophe
als Ärztin hatte Sailtrit Martling die Verantwortung für das Wohlergehen der aus Namsos entführten Selka Mychon übernommen. Nach der vorgenommenen Mentalstabilisierung lag die junge Frau weiterhin in tiefer Bewusstlosigkeit. Der Psychoanalysator hatte festgestellt, dass Selkas Unterbewusstsein nach den besonderen Umständen der Entführung keine Überlebenschance sah. Diese Überzeugung hatte eine Selbstaufgabe bewirkt.
Viel langsamer als zunächst erwartet gelang es dennoch, die Ohnmacht der Patientin zu mildern. Für Sailtrit Martling stand fest, dass die Schwierigkeiten bei der Mentalstabilisierung eines von der Kleinen Majestät beeinflussten Menschen bei weitem unterschätzt worden waren. Derzeit war sie dabei, Hirnstromkurven der Frau auszuwerten, um neue Ansatzpunkte für eine Behandlung zu finden.
Für Bilor Wouznell, ihren Ehemann, wurde die Angelegenheit allmählich deprimierend. Er hatte es übernommen, regelmäßig nach Selka zu sehen. Besonders wohl fühlte er sich dabei aber nicht. Falls die Patientin einen bleibenden Schaden erlitt, dann hatten sie alle die gute Absicht pervertiert. Die Kleine Majestät gab ihre Opfer nicht frei, einen solchen Preis konnte niemand dafür bezahlen.
Der Weg von den Labors zu den Krankenzimmern war kurz. Bilor Wouznell betrat den kleinen Vorraum und blieb überrascht stehen.
Sailtrit muss davon erfahren! Das war vorläufig sein letzter Gedanke. Etwas traf ihn mit der Wucht einer explodierenden Granate, und er brach zusammen.
Da war nur ein Gefühl. Aber es existierte in verschiedenen Variationen, die alle dasselbe besagten: Gefahr, Feindseligkeit, Trennung, Verlassenheit, Tod … An diesem Gefühl orientierte sich Selka Mychons Denken, als sie zu sich kam. Sie wusste nicht, wo sie war, aber sie wusste, dass sie hier nicht sein wollte.
Sie sehnte sich nach dem Glück, in dessen Wärme sie lange Zeit gebadet hatte. Gleichzeitig fürchtete sie, dass dieses Glück für alle Zeiten verloren sei. Sie empfand Hass gegen die Unbekannten, denen sie dieses Schicksal verdankte, und sie war entschlossen, keine Sekunde länger als nötig hier zu bleiben. Sie wollte zurück an den Ort ihres neuen Glücks. Aber die intuitive Kenntnis des Weges, der an den richtigen Ort führte, war ihr verloren gegangen.
Gut, sagte sie zu sich selbst. Die mich hierher gebracht haben, müssen wissen, woher ich komme. Sie werden es mir sagen. Allerdings nicht freiwillig. Ich muss sie zwingen. Um sie zu zwingen, brauche ich eine Waffe. Den Nächsten, der zu mir kommt, werde ich überwältigen. Dann muss er mir eine Waffe be schaffen.
Ihr Verstand arbeitete ohne Fehler. Aber ihre Seele war leer gebrannt. Sie hatte das Allerwichtigste verloren: das neue Glück. Auf gewisse Weise war es sogar eine Überraschung für sie, dass sie diesen Verlust lebend überstanden hatte.
Sie schwang sich von der Liege. Ihr suchender Blick fand einen für ihr Vorhaben geeigneten Gegenstand, ein Metallrohr, das zum Abschirmen sondenförmiger Messgeräte diente. Sie nahm es auf und wog es in der Hand. Es war eine perfekte Waffe.
Als sich die Tür öffnete und der Fremde durch das Vorzimmer kam, stand Selka neben dem Eingang in Deckung. Das Verhalten des Fremden konnte nicht günstiger sein. Er war sichtlich überrascht, den Raum leer vorzufinden, und wollte hinauseilen.
In dem Augenblick, in dem er sich umdrehte, kam Selka aus ihrem Versteck hervor und schlug zu.
In Xehmer-Naads Stab gab es eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich durch intensive Beschäftigung mit dem Planeten, auf dem die Kleine Majestät regierte, den Ruf von Terra-Spezialisten erworben hatten. Mit diesen Experten konferierte der Hulkoo-Kommandant. Besonderen Wert legte er auf die Meinung von Bajraktosch, obwohl dieser ihm nicht weiter als bis zur Schulter reichte. Auf dem zerbrechlich wirkenden Rumpf saß ein vergleichsweise riesiger Schädel. Der Wissenschaftler hatte diese Benachteiligung durch die Natur zu seinem Vorteil verwandelt, indem er stets darauf hinwies, dass es zur Unterbringung eines gewaltigen Denkapparats eben auch eines gewaltigen Kopfes bedürfe.
»Es ist ganz klar«, erklärte Bajraktosch in der Runde der Gelehrten und des Kommandanten, »dass es auf dem Trabanten namens Luna Installationen gibt, die in jüngster Zeit wieder zum Leben erwacht sind.«
Für eine Sekunde leuchtete ein rötlicher Schimmer in Xehmer-Naads Sehorgan. Sein Auge war normalerweise, wie bei allen Hulkoos, leuchtend blau. Nur wenn sich der
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