Silberband 099 - Treibgut der Sterne
sie uns boykottieren.«
»Ist dieser Harzel-Kold nicht verlässlich?«, fragte Virna.
»Davon kann keine Rede sein. Der Mann ist eine lebende Legende. Über keinen anderen haben wir so viele Informationen und wissen dennoch so wenig über ihn. Er ist Eremit und Kosmopolit in einem. Manche sagen, er sei nicht auf Vincran geboren, sondern irgendwo im Staubmantel der Provcon-Faust.«
»Das klingt geheimnisvoll«, bemerkte Virna. »Nur sagt es nichts darüber aus, warum du ihn trotz seiner Fähigkeiten nicht schätzt.«
»Er ist mir unheimlich«, sagte Vic zu ihrer Überraschung. »Ich habe mal mit ihm zu tun gehabt. Von ihm ging etwas aus, was …« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Im Rückblick kann ich nur sagen, dass seine Nähe mich schaudern ließ. Ich habe später erfahren, dass er sich insgeheim mit der Magie und der Kunst eines untergegangenen Volkes der Provcon-Faust beschäftigen soll. Aber du kannst dir selbst ein Bild von ihm machen. Er muss jeden Augenblick eintreffen.«
Als er die Kommandozentrale betrat, galt sein erster Blick ihr. Das Ungewöhnliche der Situation wurde Virna Marloy gar nicht sofort bewusst. Erst später entsann sie sich, dass es üblich war, zuerst den Kommandanten zu begrüßen.
Sie spürte keine unheimliche Ausstrahlung, wurde durch die Nähe des Vincraners nur seltsam aufgewühlt. Er war etwa zwei Meter groß, ein gut aussehender Mann, schlank und feingliedrig wie alle Vakulotsen und mit dem typischen Albinoweiß der Haut. Sie empfand einen Hauch von Melancholie und fühlte sofort, dass dieser Mann einsam war.
Er blieb vor ihr stehen und sagte leise, doch deutlich: »Ich bin Harzel-Kold, der Lotse, der dieses Schiff sicher in die Provcon-Faust bringen wird. Wollen Sie meinen Mantel tragen? Dann fliege ich die GLUSMETH nur für Sie.«
Sie nickte schweigend, denn sie hatte nie davon gehört, dass ein Vakulotse jemals einer Gäanerin eine solche Ehre hatte zuteilwerden lassen. Harzel-Kold nahm seinen seltsam gemusterten Umhang ab und legte ihn ihr behutsam um die schmalen Schultern. Der Mantel war mit fremdartigen Zeichen und Symbolen verziert.
Harzel-Kold verneigte sich vor ihr und ging weiter zum Kommandopult.
»Das gefällt mir gar nicht«, sagte Vic Lombard gepresst. »Möchte wissen, was der Bursche mit dieser Schau bezweckt. Du solltest seinen Mantel nicht tragen, Virna.«
Sie wurde einer Antwort enthoben, denn der Kommandant rief Vic auf seinen Posten.
Die GLUSMETH nahm Fahrt auf. Auf dem Panoramaschirm verblassten die hinter dem Schiff zurückbleibenden Sterne. Staubmassen schluckten das Streulicht, bis die GLUSMETH in Dunkelheit gehüllt war. Einige Zeit brachte die Ortung noch ausreichende Daten, dann machten sich die ersten hyperenergetischen Turbulenzen bemerkbar.
Virna beobachtete Harzel-Kold. Er saß aufrecht im Kontursessel, die Kontrollen spiegelten sich auf seinem blanken Schädel. Den Oberkörper hielt er steif, nur seine Arme bewegten sich, und die Finger wirbelten förmlich über die Sensorfelder. Die Augen hatte er die meiste Zeit über geschlossen. Ein einziges Mal wandte er den Kopf und schaute sie an.
Virna erwiderte den Blick, konnte ihm jedoch nicht lange standhalten. Aus den Augen des Vincraners sprach etwas, das sie aufwühlte und in ihr unbekannte Ängste weckte. Sie lauschte in sich hinein und fühlte, dass eine innere Stimme sie zur Vorsicht mahnte.
Bald darauf ließ Harzel-Kold die Arme sinken und lehnte sich entspannt zurück.
»Was ist?«, fragte Kapitän Nercon ungehalten. »Warum haben Sie unseren Flug stoppen lassen?«
»Wir sind in eine Sackgasse geraten. Im Augenblick geht es nicht weiter«, antwortete der Vincraner. »Wir werden bestimmt zwei Stunden Ihrer Zeitrechnung hier festsitzen.«
Er wandte sich ab und kam zu Virna.
»Ich nehme an, Sie wollen Ihren Mantel zurück«, sagte sie hoffnungsvoll. Der Umhang lastete schon schwer auf ihren Schultern.
Harzel-Kold hob abwehrend die Hände. »Nicht jeder kann diesen Mantel tragen. Sie haben die Probe bestanden. Deshalb frage ich Sie, ob Sie ihn für länger tragen wollen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich bitte Sie, mit mir zu kommen – als meine Gefährtin.«
»Nach Vincran?«
»Ich lebe schon lange nicht mehr auf Vincran. Sie sollen mich nach Zwottertracht begleiten.«
»Zwottertracht?«, wiederholte Virna.
Was für ein seltsamer Name für einen Planeten! Wo lag diese Welt? Solche und ähnliche Fragen schossen ihr in diesem
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