Silberband 101 - Eiswind der Zeit
Betty?«
In einer anderen Zeit. Der Ort ist der gleiche geblieben. Wir sind auf Kreta. Die Frage ist, wann. Ich weiß es nicht.
»Vorchristlich?« Adams sah sich nach allen Seiten um. Das Land war unberührt, nicht einmal einen Pfad gab es. Lediglich der nackte Fels zwischen den dornigen Büschen ermöglichte ein Weiterkommen.
»Wir müssen wieder ›zurückgehen‹«, schlug Adams vor, weil ihm nichts Besseres einfiel. »Wir kennen die Richtung. Wir brauchen uns nur umzudrehen …«
Versuche es!, kam Betty Toufrys Rat. Sonst sind wir gestrandet.
»Gestrandet?«
In Raum und Zeit!
Wie richtig Betty Toufrys Vermutung war, sollte sich schnell erweisen. Adams ging den Weg zurück, den er gekommen war, aber die unberührte Landschaft nahm kein Ende.
Immer schneller schritt er aus und stieg auf einen Hügel, auf dessen Kuppe sich ihm eine großartige Aussicht bot. Aber Adams hatte jetzt wenig Sinn für die Schönheit der Landschaft. Er suchte nach einem Anhaltspunkt, der ihm Ort und Zeit verriet.
Kreta – das konnte stimmen. Harno hatte den Namen der Insel erwähnt. Was aber sollten ausgerechnet Kreta und die Vergangenheit der Insel mit der Realität des Jahres 3586 zu tun haben?
Der Schlüssel zu den Geheimnissen der Gegenwart liegt immer in der Vergangenheit, so wie auch die Gegenwart die Zukunft mitformt, teilte das Bewusstsein der Mutantin mit.
»Trotzdem begreife ich nichts mehr«, gab Adams zu. Er schwieg, als er eine Bewegung zwischen den Büschen wahrzunehmen glaubte.
Nur ein Tier, beruhigte ihn Betty Toufry.
Als sich die Büsche teilten, konnte Adams eine Echse erkennen. Gezackter Rückenkamm, langer und schlagkräftiger Schwanz. Vorsichtig schob sich das an die zwei Meter lange Geschöpf über die Felsen auf Adams zu.
Bleib stehen!, befahl die Mutantin, als er sich umdrehen und davonlaufen wollte. Das Tier hat vielleicht noch nie einen Menschen gesehen.
»Umso mehr Grund, sich einen anzusehen …«
Da er laut gesprochen hatte, was ihm plötzlich siedend heiß zu Bewusstsein kam, hätte das nur noch zehn Meter entfernte Tier ihn hören müssen. Aber es reagierte nicht. Ruhig und gelassen kroch es weiter, obwohl sich leicht vermuten ließ, dass es auch wesentlich schneller sein konnte.
Trotz Bettys Warnung wich Adams ein paar Schritte zur Seite, als die Echse ihn fast erreicht hatte. Trockene Zweige knackten, als sie unter seinem Gewicht zerbrachen, aber die Echse kroch weiter, als sei sie taub. Adams starrte ihr wie gebannt nach, schließlich atmete er erleichtert auf. »Sie hat mich ignoriert, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden, Betty! Kannst du das verstehen?«
Ich versuche es, Homer. Wir sind hier, in einer uns unbekannten Zeitepoche, aber wir sind nicht wirklich hier. Für den Boden, die Felsen und für die Büsche sind wir real vorhanden, aber nicht für Lebewesen.
Adams gab sich damit nicht zufrieden. Auch wenn die Vermutung der Mutantin stimmte, so war die Unterscheidung paradox.
Die Sonne sank dem Horizont entgegen und färbte sich rot. Es war Adams klar, dass er sich nicht zu weit vom Ort seiner Materialisation entfernen durfte. Sollte es den Versuch geben, ihn ›abzuholen‹, dann nur dort.
Als er sich umwandte und noch einmal in Richtung des Meeres sah, bemerkte er flackernden Feuerschein. Davor bewegten sich menschliche Schatten.
Geh hin!, rief Betty Toufry. Es besteht keine Gefahr, denn sie sehen uns nicht. Aber ich kann ihre Gedanken empfangen.
Sie waren braunhäutig, kaum eineinhalb Meter groß, und ihr negroider Einschlag war unverkennbar. Ihre Waffen – Speere und Holzkeulen – lagen abseits des Feuers, um das herum sie tanzten. Nur einige ältere Männer und Frauen saßen auf den Felsen und beteiligten sich nicht an dem Ritual.
Adams war zwischen den letzten Büschen vor der Lichtung stehen geblieben. Er versuchte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ihn niemand sehen konnte, weil er real nicht vorhanden war. Aber noch gab es für Bettys Behauptung keinen Beweis.
Setz dich zu ihnen an das Feuer, riet die Mutantin. Dann bekommst du deinen Beweis.
Bist du verrückt?
Betty Toufry antwortete nicht.
Was denken sie?, fragte Adams nach einer Weile.
Betty wartete einige Minuten, bevor sie erklärte, dass sich die Gedanken der Tanzenden um sehr alltägliche Dinge drehten, um das wärmende Feuer, das erhalten bleiben musste, um ihre Götter, die sie durch den Tanz ehrten, und um die Ernte.
Eine halbe Stunde verging, dann trat Adams vor in den Feuerschein. Er
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