Silberband 108 - Grenze im Nichts
bringen. Hinter ihr erklang ein infernalisches Krachen. Als sie sich umdrehte, sah sie im Scheinwerferlicht, dass die Mittelsäule mit dem Antigravschacht absackte. Die Röhre verformte sich unter dem Druck der sich ausdehnenden Formenergie und brach. Ein schauriger Schrei übertönte das infernalische Toben, dann stürzte aus dem abgerissenen Schacht, der aus der zuckenden Decke nach unten ragte, ein menschlicher Körper.
Baya konnte nicht erkennen, ob es sich um einen Tempester oder um einen terranischen Paratender handelte, denn sie wandte sich entsetzt ab und suchte zwischen den Trümmern hindurch einen Weg zur Nottreppe. Als vor ihr die Außenwand der Hyperraumnische regelrecht aufplatzte, glaubte sie, von dem Sog der ausströmenden Atmosphäre in das Nichts des fünfdimensionalen Raumes gezerrt zu werden. Doch die Lücke schloss sich wieder. Die Hülle festigte sich, aber sie schrumpfte weiterhin. Baya glaubte, diesen Prozess schon mit bloßem Auge zu erkennen.
Irgendwie erreichte sie die Nottreppe, die mittlerweile völlig deformiert war und die Form einer seltsam gewundenen Spirale angenommen hatte. Das Geländer rankte sich verdreht um die Trägerstützen. Baya wagte dennoch den Aufstieg. Als ihr Armbandgerät ansprach, nahm sie den Anruf entgegen.
»Baya, was ist mit dir los?« Margors Stimme klang verzweifelt. »Warum meldest du dich nicht? Wo bist du?«
»Ich bin auf dem Weg ins obere Deck«, antwortete sie schwer atmend; der Aufstieg über die verformte Treppe kostete sie viel Kraft. »Versammle alle Paratender um dich, damit wir die Klause verlassen können.«
»Das geht nicht, ich sitze fest. Du musst mir helfen, Baya. Ich stecke auf der Höhe von Deck vier im Antigravschacht und kann mich nicht befreien.«
»Warum holen die Paratender dich nicht heraus?«
»Ich bin allein und kann die anderen nicht erreichen. Ich bin eingeklemmt. Wenn ein Tempester mich findet, ist es aus.«
»Ich komme«, versprach Baya.
Sie überwand die Treppe. Das Deck, auf dem sie sich nun befand, bot das schon gewohnte Bild der Zerstörung. Einmal gab der Boden unter Baya nach, und sie konnte sich nur durch einen waghalsigen Sprung retten. Abgesehen davon erreichte sie ohne Zwischenfälle den Antigravschacht.
Die Mittelsäule war in Mannshöhe bis auf etwa fünfzig Zentimeter zusammengedrückt. Durch die Ausstiegsöffnung sah Baya zwei Beine herabbaumeln. »Boyt?«, fragte sie.
»Endlich!« Die Stimme des Gäa-Mutanten klang hohl. »Jeden Moment können neue Beben auftreten. Ich würde dann zwischen den Wänden erdrückt werden.«
»Das ist mir klar«, sagte Baya. »Aber was kann ich tun?«
»Du hast das Auge und kannst damit umgehen. Du kannst mich befreien, wenn du mit mir den distanzlosen Schritt tust. Bringe uns nach Terra, ehe es zu spät ist.«
»Warum muss es gleich die Erde sein? Tut es nicht auch eine der anderen Nischen?«
Baya beugte sich in den Schacht, um Margor näher zu sein, und bezog ihn in ihr Wunschdenken ein. Sie dachte an Klause fünf.
Der Ortswechsel brachte keine besonderen Veränderungen mit sich. Zwar steckte Margor nun nicht mehr fest, was Baya dazu veranlasste, sich in sichere Entfernung zu bringen. Aber sonst herrschten in Klause fünf ähnliche Bedingungen wie in der Großklause.
»Warum hast du uns nicht nach Terra gebracht?«, rief Margor wütend. »Hier sind wir genauso gefährdet wie drüben.«
»Ich durchschaue dich, Boyt«, erwiderte die Siebenjährige. »Du willst nur deine Haut retten, die Paratender sind dir egal. Auf Terra hättest du bestimmt eine List gefunden, mir das Auge abzunehmen. Aber darauf falle ich nicht herein.«
Der Boden wankte, Baya kämpfte um ihr Gleichgewicht. In der Luft lag das unheimliche Knistern überschlagender Energien. Darin mischte sich das Krachen der instabil werdenden Trennwände und Zwischendecks, die Margor hatte einziehen lassen. Dazwischen ertönten Schreie und Kommandos.
»Ich verstehe dich nicht, Baya.« Margor schaute sie an, als wolle er ihr seinen Willen aufzwingen. »Entweder hilfst du mir, oder du lässt es. Halbe Sachen dienen niemandem.«
»Ich will alle retten, die in den Klausen eingeschlossen sind. Im Übrigen kannst du dir deine Mühe sparen, Boyt, es wird zwischen uns nie eine Psi-Affinität geben.«
Margor wollte etwas erwidern, aber da erklangen aus dem Korridor vor ihnen Schritte. Ein Paratender kam und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. »Boyt!«, rief er fassungslos. »Du hier?« Gleich darauf berichtete er mit
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