Silberband 112 - Die Energiejäger
Zeit zu gehen, bedrückte ihn. Und egal, was er gesehen hatte, im Grunde genommen blieben alle Zusammenhänge im Dunkeln.
Er stieg in die Lichtzelle und startete.
Sein Ziel war die Galaxis Erranternohre. Dort würde er, falls nichts Unvorhergesehenes geschah, die BASIS treffen und den fünften Zusatzschlüssel abliefern.
Morgens, wenn sich die dichten Nebelschleier auflösen und das Licht der fünf Monde der Sonne Derogwaniens weicht, verlassen die Puppen ihre Häuser und gehen den verschiedensten Beschäftigungen nach. Sie haben ihre Stadt in eine Heimat verwandelt. Im Fluss treiben wieder viele Boote, und oben am Hang werden die Statuen in mühevoller Arbeit wieder aufgerichtet.
Einmal im Jahr, wenn das Land von Schnee bedeckt ist, pilgern alle Puppen zum erloschenen Zeitbrunnen hinauf. Sie bilden einen großen Kreis und ergreifen sich gegenseitig an den Händen. Einem heimlichen Beobachter würde es vorkommen, als starrten diese Puppen in die dunkle Senke. Oft erscheint es, als würde es im Zentrum des Brunnens schwach zu leuchten beginnen.
Die Puppen rücken dann enger zusammen und erheben ihre Stimmen wie ein einziges Wesen.
»Kemoauc!«, rufen sie. »Kemoauc!«
Der Wind treibt den Ruf den Hang hinab und über die Stadt hinweg, ohne dass es eine Antwort gäbe. Jahr für Jahr erklingt dieser Ruf, und jedes Mal erscheint er ein bisschen leiser und trauriger.
Nach einer Weile lösen sich die Gruppen wieder auf und steigen den Hang hinab. Sie kehren in die Stadt zurück.
Derogwanien ist eine einsame Welt, abseits in den Spiralarmen einer kleinen Galaxis. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Planet einst von Raumfahrern entdeckt und besucht wird, ist so gering, dass sie eigentlich keine Erwähnung verdient.
Ab und zu verlässt eine der Puppen die Stadt und geht zum Fluss. Als folge sie einem inneren Zwang, steigt sie ins Wasser und treibt davon, bis sie untergeht und ertrinkt. Langsam stirbt auf diese Weise die Bevölkerung, denn es gibt keine nachfolgenden Generationen.
Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie eines Tages die letzte Puppe dieser seltsamen Zivilisation zum Zeitbrunnen hinaufsteigt, um zum letzten Mal nach Kemoauc zu rufen. Danach wird auch sie den Weg zum Fluss antreten, und die Zeit wird die Stadt, den letzten Zeugen für die Existenz der Puppen, allmählich verschwinden lassen.
Womöglich bringt die Evolution in ferner Zukunft auf Derogwanien eine Eingeborenenzivilisation hervor, deren Kinder im erloschenen Zeitbrunnen spielen und auf den großen Steinen herumklettern, die einst Gesichter hatten.
12.
Zwadivar betrachtete sich in der ovalen Reißmuschelschale, die ihm als Spiegel diente, und war mit dem Anblick durchaus zufrieden. Ich wirke würdevoller, wenn ich auf drei Beinen stehe, dachte er. Vielleicht sollte ich sogar ein viertes probieren ...
Aber die Verlagerung einer weiteren Extremität zur unteren Körperhälfte bereitete etliche Schwierigkeiten, sodass Zwadivar die Idee schließlich aufgab.
Dass er sich einer Reißmuschelschale anstatt eines gläsernen Spiegels bediente, hatte seinen Grund nicht etwa darin, dass es ihm an Geld mangelte. Im Gegenteil. Die Muschelschale war über zwei Meter hoch und eineinhalb Meter breit, und ihre Ränder schimmerten in violetten und goldenen Farbtönen. Solch eine Muschel wurde nur einmal alle paar Generationen gefunden, und wer sie sich leisten konnte – die Muschel selbst und die langwierige, nur von Hand ausführbare Bearbeitung, die aus der Innenfläche der Schale einen Planspiegel machte –, der musste reich sein.
Zwadivar war reich – und jeder sah es ihm an. Er hatte den über zwei Meter hohen, völlig symmetrischen Wuchs eines Wesens, das niemals Mangel litt. Der eiförmige Körper war von geometrischer Vollendung und mit schimmernder, hellgrauer Haut bedeckt. Unter der Haut zeigten sich die Knoten der Wahrnehmungsorgane, der Sprechwerkzeuge und der motorischen Nervenzentren, mit deren Hilfe Zwadivar, wie jeder andere Vargarte, seine insgesamt acht Extremitäten manipulierte.
Zwadivar beendete die Musterung seiner selbst und begab sich gemessenen Schrittes in den vorderen Bereich seines Hauses. In der Eingangshalle, deren große Fenster auf einen weiten, mit vielen kleinen Wasserflächen durchsetzten Park hinausblickten, machte er sich an einer Schaltkonsole zu schaffen.
Augenblicke später erschien auf dem Fahrweg neben dem Haus ein keilförmiges Gleitfahrzeug.
Zwadivar schritt durch das hohe
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