Silberband 117 - Duell der Erbfeinde
Leichen, die sie jemals gesehen hatten.
»Die meisten waren offenbar mit dem beschäftigt, was Thezein als Verschmelzung bezeichnete«, sagte Jennifer nach einer langen Pause des Schweigens bedrückt. »Zwei Körper zur Hälfte miteinander verwachsen – nein, das ist falsch. Als ob sie sich gegenseitig verschlungen hätten. Grässlich!«
Tekener schwieg. Er glaubte, eine Bewegung ausgemacht zu haben. Vorsichtig schritt er zwischen den entseelten Körpern hindurch, peinlich darauf bedacht, mit keiner »Leiche« in Berührung zu kommen. Er hatte vieles gesehen und erlebt, aber das Bild, das sich ihm im Zentrum der GOR-VAUR bot, erfüllte selbst ihn noch mit leisem Grauen.
Endlich hatte er die Stelle erreicht. Er bückte sich und spähte in jeden Winkel. Endlich sah er ein kleines, mit verwelkten Blüten bedecktes Geschöpf in einer Ecke zwischen zwei Geräten kauern. Er winkte Jennifer zu sich heran und deutete auf das bunte Wesen.
»Es muss sich hier versteckt gehalten haben«, sagte er sehr leise, um den Fremdling nicht zu erschrecken. »Sprich du mit ihm, vielleicht kannst du es hervorlocken.«
Aber es war ein hartes Stück Arbeit, das kleine Wesen davon zu überzeugen, dass keine Gefahr mehr bestand. Endlich kam es zum Vorschein. Es sah erbärmlich aus mit seiner seltsamen Umhüllung aus Blüten und Blättern, die schlaff herabhingen. Es ging der Terranerin knapp bis zur Hüfte und wirkte so todtraurig, dass sie sich immer wieder gewaltsam ins Gedächtnis rufen musste, dass in diesem mitleiderregenden, kindhaft hilflosen Körper das Bewusstsein eines erwachsenen, den Terranern in vieler Hinsicht weit überlegenen Bürgers steckte.
»Was ist hier geschehen?«, fragte sie behutsam. »Kannst du es uns nicht sagen?«
»Es war diese seltsame Strahlung«, erwiderte das kleine Wesen leise. »Wir haben sie anfangs nicht ernst genommen. Als wir endlich merkten, was los war, war es längst zu spät. Wir haben uns alle verändert. Es war wie ein Wahnsinn, der uns überkam.«
Es stockte und schauderte, und einige welke Blüten fielen leise zu Boden.
»Jahrtausendelang haben wir in Frieden und Harmonie miteinander den Weg zur Vollendung gesucht«, fuhr es schließlich fort. »Nur eine kleine Anzahl von Bürgern wich von diesem Weg ab. Wir wollten es nicht merken, weil wir keinen noch so kleinen Bestandteil unserer Gemeinschaft opfern wollten. Das war ein: Fehler, und wir haben bitter genug dafür bezahlt, denn nur wegen dieser negativen Elemente wurde Art'Yschall zerstört. Als wir in diesen Schiffen erwachten, erkannten wir schon bald, dass es nicht richtig war, sie für uns zu beanspruchen. Es gab jemanden, dem sie gehörten. Wir sind keine Diebe – aber wir konnten der Versuchung nicht widerstehen.«
»Einer von euch, ein Spaltling namens Thezein, meinte, dass keiner von euch auf den Gedanken gekommen sein könnte, es würde sich um so etwas wie Diebstahl handeln. Er war überzeugt davon, dass ihr alle euch sonst sofort zurückgezogen hättet.«
»Ich kenne Thezein, und es tröstet mich, dass er immer noch so gut über das Volk denkt, zu dem er gehört. Aber uns hohen Bürgern war es von Anfang an bewusst.«
»Gehörst du zu den hohen Bürgern?«, fragte Jennifer mit leiser Skepsis.
Das Wesen zeigte mit einem dünnen Ärmchen, das unter den welken Blüten fast völlig verborgen gewesen war, auf eine der leblosen Hüllen.
»Ich gehörte zu diesem dort«, erklärte es. »Ich bin Falreyl und herrschte über den Körper und über die rund achttausend Bewusstseine, die ich um mich versammelt hatte. Es gelang mir im letzten Moment, mich abzuspalten. Ich schäme mich für alles, was hier geschehen ist.«
»Was werdet ihr jetzt tun?«, fragte Jennifer Thyron bedrückt. »Können wir euch irgendwie helfen?«
Wieder fielen Blüten herab, und Falreyls überraschend sanfte, große Augen wurden sichtbar.
»Nein«, sagte er. »Wir müssen unseren eigenen Weg gehen. Wir kehren in den Linearraum zurück und beginnen die Suche von vorne. Es wird viel Zeit vergehen, bis wir auf etwas treffen, was uns zu einem Endpunkt tragen kann. Wir hoffen, dass in dieser langen Zeit die Strahlung aus unseren kristallinen Extrakten entweicht und wir wieder Frieden finden.«
»Wohin führt eure Reise? Was ist dieser Endpunkt? Wie sieht er aus, und wo werdet ihr ihn finden?«
»Das wissen wir nicht. Es gibt viele Endpunkte. Nur einer davon soll für uns bestimmt sein. Er kann hier, in dieser Sterneninsel, liegen oder auch am anderen Ende
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