Silberhuf
das in dieser Höhe! In meiner Erleichterung wäre ich am liebsten herausgesprungen und auf sie zugeeilt. Dann dachte ich an meinen Vater und an das Bronzepferd. Er würde bestimmt schrecklich böse sein, wenn irgend etwas rauskäme, bevor er fertig war. Was hat ein abendländischer Junge hier ganz allein zu suchen, würden sie fragen. Ich käme nicht umhin, meinen Vater zu erwähnen. Und man stelle sich vor, sie wollten ihn womöglich besuchen.
Unentschlossen blieb ich, wo ich war. In einer Gruppe zusammengedrängt, hielten sie, gleich nachdem sie den Paß durchquert hatten, an. Als ich sah, was das für eine schurkische Bande war, kauerte ich mich noch enger zusammen und danktemeinem guten Stern, daß mein erstes Gefühl nicht die Oberhand gewonnen hatte.
Im Himalaja-Gebirge, wo außer Leibeigenen und Sklaven jedermann ein Pferd reitet, gewöhnt man sich an finster aussehende Gestalten. Sie sind meist in Schaffell und Handgewebtes eingehüllt, Gewehre über der Schulter und kurze Schwerter über dem Bauch. Sie reiten wie der Teufel, so als ob sie auf dem Pferderücken geboren wären.
Aber es umgab sie eine üble Luft. Der Mann, der an ihrer Spitze ritt, war wie ein Mönch gekleidet, eingehüllt in das weinrote wollene Tuch der Lamaklöster. Wie üblich war ein Arm — kräftig und sehr dreckig — bis zur Schulter entblößt.
Die Haare auf seinem Kopf stachen hervor wie die Stacheln eines Igels. Sie hatten auch etwa die gleiche Länge. Darunter verbarg sich ein grobes Gesicht, das offensichtlich Spuren von Schlägereien trug. Es sah sehr groß aus, mit hohen Backenknochen und Schlitzaugen, einer plattgedrückten Nase, dicken, fleischigen Lippen und einem sehr mürrischen Zug um den Mund. An den Backenknochen war sein Gesicht mit Ruß geschwärzt, genau wie das einiger Polizeimönche der großen Lamaklöster. Und wie diese trug er dicke Wattepolster unter seiner Toga, um seine Schultern extrem breit erscheinen zu lassen. Das alles verstärkte noch das ohnehin Schreckeneinflößende seiner Erscheinung. Aber selbst ohne diese Wattierung konnte man auf einen großen und kräftig gebauten Mann schließen. An einer Seite seines Sattelknopfes hing ein sehr gutes Gewehr und am Sattelende eine lange Mauser-Pistole in einer hölzernen Tasche. Auf der linken Seite baumelte ein viereckiger, mit Messing verzierter Eisenstab. Normalerweise wurde dieser nur von den sogenannten „kämpfenden Mönchen des Ordens vom Eisenstab“ getragen. Das sind die meistgehaßtenund gefürchtetsten unter den Mönchspolizisten der Lamaklöster.
Ich lag auf dem Boden und spähte durch ein Grasbüschel auf diese Gestalten. Der Mönch hob ein Fernglas von seiner Brust an die Augen. So verharrte er lange, auf seinem schönen, kastanienbraunen Pferd sitzend, und suchte das ganze Tal und die Berge ringsherum ab.
Die anderen sechs verhielten sich ruhig. Einige zündeten sich eine Zigarette an, andere nahmen die übliche Mischung von Schnupftabak und Weihrauchasche zu sich. Die Asche mit ihrer heiligen Essenz war dazu bestimmt, die Sünde, Tabak zu benutzen, wieder aufzuheben.
Fromm mögen sie gewesen sein, doch sehr bedrohlich. Alle waren verschieden angezogen. Einer trug ein Schaffell nach innen, der andere nach außen. Einer hatte sich eine schmutzige, besudelte, einst sehr kostbare Seidenbrokatrobe über eine Steppjacke geworfen, ein anderer hatte etwas schwarzes Handgewebtes aus ungeblichener Yakwolle an und ein anderer ein Gewand aus wattierter Seide. Alle steckten sie in kniehohen Stiefeln aus Leder oder handgewebter Wolle. Ihre verwegenen Hüte waren aus Pelz. Sie trugen langes geflochtenes Haar, das den einen über die Ohren herunterhing, den anderen um den Kopf gewunden war.
Ihre Pferde und Waffen waren genauso gut — oder fast so gut — wie die des Mönchs. Die meisten schienen auch Pistolen bei sich zu tragen. In ihrem Verhalten lag etwas Verstohlenes, so als ob sie nicht gesehen sein wollten, selbst nicht in dieser gottverlassenen Gegend.
Meine Kehle wurde trocken vor Angst, als sich der Mönch plötzlich aus dem Sattel schwang und langsam, aber sicher, anscheinend mit einem Plan, auf den Felsen zukam, hinter demich mich verbarg. Während ich nach meinem Gewehr griff, versuchte ich mich zu entscheiden, ob ich zuerst schießen oder schreien sollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ich fähig war, einen Menschen zu erschießen. Und immerhin hatte ich auch keinen Grund, ganz abgesehen von meiner unbestätigten Annahme, es
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