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Silberhuf

Silberhuf

Titel: Silberhuf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Winnington
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Katze und dem Krächzen einer elektrischen Säge. Und dann sah ich sie — eine riesengroße gesprenkelte Katze mit weißen Fellbüscheln an Ohren und Schnauze und mit gieriger Angriffslust in den Augen. Aus weitgeöffnetem rotem Rachen fauchte sie mich an. Ich war wie gelähmt vor Erstaunen und Unentschlossenheit.
    Aber Vater trat vor mich, lud neu durch und schob eine lange Expreßpatrone in den Lauf. Seine Hände arbeiteten wie die eines Zauberers. Im Bruchteil einer Sekunde zielte er und feuerte wieder, gerade als der Schneeleopard an dem rauhen Gras hochsprang und uns anging. Das Tier fiel auch beim zweiten Schuß nicht zu Boden, und ich sah Vater zu dem Patronengurt greifen. Wir feuerten beide zur gleichen Zeit, gerade in dem Moment, in dem die Katze sprang und Vater und mich zu Boden warf. Mein Gewehr und der Leopard rollten über uns hinweg.
    Mein Vater war als erster wieder auf den Beinen und stieß eine neue Patrone in den Lauf, bevor er auf das zuckende Tier losging. Aber es war schon tot — getötet, als es in die Höhe sprang —, entweder durch meinen oder durch seinen Schuß.
    „Deiner Mutter erzählen wir lieber nichts von dieser Sache“, sagte er und grinste erleichtert. „Sie würde dich bestimmt nie mehr mit mir spazierengehen lassen und schon gar nicht in den Zoo.“
    Dann tätschelte er meine Schulter und sagte: „Hast dich famos geschlagen, Jack. Ist gar nicht so einfach, die Nerven zu behalten, wenn ein gefährliches Tier direkt auf einen zukommt. Ich muß es mit meinem ersten Schuß verwundet haben, sonst hätte es uns niemals angegriffen. Ich war dumm. Ich schoß, ohne mein Ziel richtig erfaßt zu haben.
    Aber laß es dir eine Lehre sein, mein Junge“, fuhr er fort, „wenn so was passiert, ist deine einzige Rettung, stillzustehen, dich nicht von der Stelle zu rühren und pausenlos zu feuern. Ein angreifendes Tier ist durch Schüsse, die es nicht auf der Stelle töten, nicht zu halten. Es hängt daher sehr viel davon ab, daß du die Nerven behältst, die Waffe hintereinander lädst und schießt. Und vor allen Dingen, niemals laufen. Komm, sehen wir’s uns an.“
    Es war ein prächtiges Tier. Sein Fell hätte zu Hause auf unserem Fußboden phantastisch ausgesehen. Aber wir ließen es liegen. Vater untersuchte das Fell und entdeckte vier Wunden. Das bedeutete, daß mein eigener Schuß vielleicht der entscheidende gewesen war, der, der uns gerettet hatte. Mir schwoll natürlich die Brust. Ich fragte meinen Vater: „Wenn das so wichtig ist, schnell zu schießen, warum haben wir dann keine Maschinenpistolen?“
    Vater schmunzelte.
    „Ich meine“, fuhr ich fort, „man braucht nur zu zielen und den Finger am Abzug zu halten. Und ein Expreßgewehr nachzuladen dauert so lange.“
    „Da hast du recht, Jack“, sagte er, „die Kugeln sind viel schneller und schwerer, das ist der Unterschied. Damit kann man natürlich ein angreifendes Tier aufhalten. Und der Zweck, so eine große Waffe zu benutzen, ist, das Tier einfach fertigzumachen, denn in solchem Fall kann man nicht genau zielen. Hättest du nun aber mit einer Maschinenpistole auf den Leoparden wild drauflosgeschossen, während er rannte, wäre er mit größter Wahrscheinlichkeit verreckt . . .“

    Er hielt inne, und ich unterbrach ihn. „Das ist es ja, was ich meine.“
    „. . . letzten Endes“, beendete Vater seinen Satz. „Aber du würdest mit größter Wahrscheinlichkeit zuerst ins Gras beißen. Danach würde sich der Leopard in wahnsinnigen Schmerzen winden und langsam krepieren, vielleicht an Wundbrand. Das Ganze wäre grausam gegenüber dem Tier und verhängnisvoll für dich“, sagte er und schmunzelte. „Überhaupt, wenn du Tiere erschießt, egal ob für den Kochtopf oder als Selbstverteidigung, mußt du es weidgerecht tun.“
    Wie wir feststellten, hatte der Leopard gerade gefressen. Er hatte denselben Hirsch getötet, der vor den Banditen geflohen war, den mit dem verkrüppelten Geweih, und gerade hatte er begonnen, ihn zu verspeisen. Wir schleppten soviel wir nur konnten mit zurück von dem noch warmen Wildbret, ohne Vaters Lieblingsgericht, die Leber, zu vergessen. Als wir zurückkamen, begann die Sonne gerade das kleine Tal mit den steilen Wänden zu erwärmen. Nach dem Frühstück machte sich Vater sofort wieder an dem Pferd zu schaffen. Er schuftete tagelang vom ersten Lichtstrahl, bis es zu dunkel war, um weiterzumachen. Ich versuchte zwar zu begreifen, was er tat, aber es ging einfach über meinen Verstand. Er

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