Silbermantel
Hofes gebeten, und er hat sich noch einmal geweigert, mir den Abschied zu erteilen. Und deshalb …«
»Und deshalb habt Ihr ihm genau gesagt, was Ihr denkt.« Sie konnte sich die Szene vorstellen.
»Das habe ich. Und er hat mich ins Exil geschickt.« »Nicht besonders gründlich«, versetzte sie verschmitzt.
»Willst du von mir verlangen, ich soll mein Land verlassen, Seherin?« schnappte er mit plötzlich gebieterischer Stimme. Das gefiel ihr; dann gab es also doch etwas, woran ihm lag. Mehr als nur ein wenig, wenn sie ehrlich war. Und so entgegnete sie: »Aileron, er hat recht getan. Das muss Euch klar sein. Wie konnte der Großkönig zulassen, dass ein anderer für ihn stirbt?«
Und wusste sogleich, dass da etwas nicht stimmte.
»Demnach weißt du es nicht.« Das war keine Frage. Die plötzliche Sanftheit seiner Stimme beunruhigte sie ungemein.
»Was? Bitte. Sagt es mir lieber.«
»Mein Vater hat sehr wohl einen anderen den Weg gehen lassen«, stellte Aileron richtig. »Hört Euch den Donner an. Euer Freund befindet sich am Baum. Pwyll. Er hat zwei Nächte durchgehalten. Dies ist die letzte, falls er noch am Leben ist.«
Pwyll. Paul.
Das passte. Das passte allzu perfekt. Sie wischte sich die Tränen fort, aber es strömten weitere nach. »Ich habe ihn gesehen«, flüsterte sie. »Ich habe ihn in meinem Traum mit Eurem Vater zusammen gesehen, aber ich konnte nicht hören, was sie sprachen, weil diese Musik erklang, und –«
Dann wurde auch das klar. »O Paul«, hauchte sie. »Das war Brahms, nicht wahr? Rachels Brahmsstück. Wie konnte ich das nur vergessen?«
»Hättet Ihr damit etwas geändert?« fragte Aileron. »Hättet Ihr damit das Richtige getan?«
Das war zu hart, ausgerechnet jetzt. Sie konzentrierte sich auf die Katze. »Hasst Ihr ihn?« fragte sie mit kleinlauter Stimme, und überraschte sich selbst mit dieser Frage.
Das ließ ihn aufspringen, mit einer Geste der Verblüffung, der Bloßstellung. Er eilte zum Fenster und blickte hinaus auf den See. Glocken läuteten. Und dann donnerte es. Ein Tag, so geladen mit Spannung. Und er war noch nicht vorbei. Die Nacht lag noch vor ihnen, die dritte Nacht …
»Ich will versuchen, es nicht zu tun«, äußerte er endlich, so leise, dass Kim es kaum hören konnte.
»Bitte«, sagte sie und fühlte, dass es darauf irgendwie ankam. Und wenn auch nur ihr zuliebe, um ihre eigene zunehmende Bürde an Kummer zu lindern. Sie erhob sich vom Bett, die Katze dabei in beiden Armen haltend.
Er wandte sich ihr zu. Das Licht hinter ihm war merkwürdig. »Es wird mein Krieg werden«, erklärte Aileron dan Ailell. Sie nickte.
»Du hast es gesehen?« drängte er. Wieder nickte sie. Draußen hatte der Wind aufgehört; es war sehr still. »Am Baum hattest du diese Möglichkeit vertan.«
»Nicht vertan. Aber du hast recht, es war eine Torheit. Von mir, nicht von deinem Freund«, fügte er nach einem Augenblick hinzu. »Ich bin gestern Nacht fortgewesen, um ihn zu sehen. Ich konnte nicht anders. In ihm liegt etwas anderes verborgen.«
»Trauer. Stolz. Von der düsteren Art.« »Es ist ein düsterer Ort.« »Kann er durchhalten?«
Bedächtig schüttelte Aileron den Kopf. »Ich glaube nicht. Letzte Nacht war es mit ihm schon fast vorbei.«
Paul. Wann, dachte sie, habe ich ihn zuletzt lachen gesehen? »Er ist krank gewesen«, suchte sie nach einer Entschuldigung. Es klang beinahe belanglos. Auch ihre eigene Stimme kam ihr merkwürdig vor.
Aileron berührte linkisch ihre Schulter. »Ich werde ihn nicht hassen, Kim.« Er gebrauchte zum ersten Mal ihren Namen. »Ich kann nicht. Er hat sich so tapfer verhalten.«
»Das hat er«, stimmte sie zu. Sie würde nicht mehr weinen. »Das hat er«, wiederholte sie und hob den Kopf. »Und wir haben einen Krieg zu führen.«
»Wir?« fragte Aileron, und in seinen Augen konnte sie die dringliche Bitte sehen, die er nicht auszusprechen wagte.
»Du wirst eine Seherin brauchen«, bemerkte sie beiläufig. »Ich scheine die beste zu sein, die du bekommen kannst. Außerdem besitze ich den Baelrath.«
Er trat einen Schritt auf sie zu. »Ich bin …« Er atmete tief ein.
»Ich bin … erfreut«, brachte er hervor.
Ein Lachen entschlüpfte ihr, sie konnte nicht anders. »Gott«, sagte sie mit erhobener Stimme. »Gott, Aileron, ich bin noch nie jemandem begegnet, der solche Schwierigkeiten hatte, sich zu bedanken. Was machst du eigentlich, wenn dir jemand das Salzfass reicht?«
Sein Mund öffnete und schloss sich wieder. Er sah sehr
Weitere Kostenlose Bücher