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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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von Marrien gewesen waren, als ihr Ende nahte. Hier war es ihm doch noch gelungen, Liebe zu erringen. Macht lehrte, geduldig sein. Das hatte er dem Fremden gesagt, erinnerte er sich. Nach dem Ta’Bael-Spiel. Wo war der Fremde? Er hatte ihm noch etwas mitzuteilen, etwas Wichtiges.
    Dann entsann er sich wieder. Indem er den Sehschlitz öffnete, blickte Ailell der König in die Kammer des Steins und sah, dass es dunkel war. Das Feuer war erloschen, das heilige Naalfeuer; die mit geschnitzten Bildern Conarys versehene Säule trug nichts auf ihrer Krone, und auf dem Boden lag, wie sein Herz auf ewig zerborsten in kleine Splitter, der Stein Ginserats.
    Er fühlte sich fallen. Es schien sehr lange zu dauern. Das Mädchen stand dabei; dessen Augen waren so bekümmert. Er hätte beinahe den Wunsch verspürt, es zu trösten. Aileron, dachte er. Diarmuid. O Aileron. Aus weiter Ferne hörte er Donnergrollen. Ein Gott war im Kommen. Ja, natürlich, doch was für Toren sie alle waren – es war der falsche Gott. Es war so komisch, so komisch, das war es.
    Und mit diesem Gedanken starb er.
    So verschied, am Vorabend des Krieges, Ailell dan Art, Großkönig von Brennin, und die Herrschaft ging auf seinen Sohn über in einer Zeit der Finsternis, als die Angst die Lande durchstreifte. Ein guter König, und weise, hatte Ysanne, die Seherin ihn einst genannt.
    Doch nicht mehr.
    *
    Jennifer flog direkt auf den Berg zu, als er zerbarst. Ein heiser triumphierender Schrei entfuhr der Kehle des schwarzen Schwans, als der Feuerstoß über ihm aufstieg und sich hoch droben in der Luft teilte, um die klauenbewehrte Hand zu formen, die sich sogleich wie Rauch mit dem Wind gen Süden krümmte, sich jedoch nicht auflöste, sondern dort hängen blieb und sich reckte.
    Gelächter erfüllte den Himmel um sie herum. Ist das Wesen unter dem Berg tot? hatte Paul Schafer gefragt, bevor sie den Übergang vollzogen hatten. Es war nicht tot, und es war auch nicht mehr unter dem Berg. Und obwohl sie es nicht verstand, wusste Jennifer doch, dass es sich auch nicht bloß um irgendein Wesen handelte. Man musste mehr sein, um so eine Feuerhand schaffen und wahnwitziges Gelächter auf den Flügeln des Windes entsenden zu können.
    Der Schwan beschleunigte seinen Flug. Einen Tag und eine Nacht hatte Avaia sie nach Norden getragen, mit Flügeln, die in exquisiter Anmut schlugen, während der Gestank der Verderbtheit sie umgab, selbst hier droben in der dünnen Höhenluft. Den ganzen zweiten Tag hindurch setzten sie ihren Flug fort, doch spät am Abend gingen sie nieder an den Ufern eines Sees, nördlich der weiten Steppe, die sie überflogen hatten.
    Dort gab es Svart Alfar, die auf sie warteten, diesmal eine große Horde, und bei ihnen waren andere Kreaturen, riesengroß und wild, mit Fangzähnen und mit Schwertern bewaffnet. Sie wurde roh vom Rücken des Schwans gezerrt und zu Boden geworfen. Niemand machte sich die Mühe, sie zu fesseln – sie konnte sich ohnehin nicht bewegen, ihre Gliedmaßen waren entsetzlich steif und verkrampft, nachdem sie so lange schon gebunden und ohne Bewegungsmöglichkeit waren.
    Nach einer Weile brachten sie ihr zu essen: den halb rohen Kadaver irgendeines Nagetiers der Steppe. Als sie in stummer Verweigerung den Kopf schüttelte, lachten sie.
    Später fesselten sie sie dann doch, wobei ihre Bluse in Fetzen gerissen wurde. Einige begannen sie zu kneifen und mit ihrem Körper zu spielen, doch irgendein Anführer veranlasste sie, damit aufzuhören. Sie registrierte es kaum. In einem Winkel ihres Bewusstseins, scheinbar so weit entrückt wie ihr Leben, war ihr klar, dass sie sich im Schockzustand befand, was vermutlich ein Segen war.
    Wenn der Morgen kam, würden sie sie wieder an den Schwan binden, und Avaia würde den ganzen dritten Tag über weiterfliegen, jetzt allerdings in nordöstlicher Richtung abbiegen, so dass der immer noch schwelende Berg allmählich im Osten zurückblieb. Dann würde Jennifer gegen Sonnenuntergang in einem Gebiet großer Kälte Starkadh erblicken, einem gigantischen Tempelturm der Hölle gleich, und sie würde zu verstehen beginnen.
    *
    Zum zweiten Mal kam Kimberly in ihrem Bett im Innern der Hütte zu sich. Diesmal jedoch gab es keine Ysanne, die sie beschützt hätte. Stattdessen waren jene Augen, die sie beobachteten, die dunklen, tiefliegenden des Dieners Tyrth.
    Sobald sie wieder bei Bewusstsein war, bemerkte sie einen Schmerz an ihrem Handgelenk. Als sie hinschaute, sah sie eine geschwärzte

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