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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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aber wie kannst du dich nur so sehr täuschen? Es hätte ein Witz sein können, ein Kim-Ford-Klassiker, bis auf die Tatsache, dass sich die Leute von nun an auf ihr Urteilsvermögen verlassen würden. Es war sinnlos, ganz und gar sinnlos. Sie war eine impulsive, undisziplinierte, halbwegs anständige Assistenzärztin aus Toronto. Was, verdammt noch mal, sollte sie tun?
    Nichts, zumindest im Augenblick. Sie verhielt sich in ihrem Bett ganz still, und eine Minute später hob Aileron das gebräunte, bärtige Gesicht und begann zu sprechen.
    »Nachdem meine Mutter gestorben war, wurde er nie wieder der alte. Er … ist verfallen. Wärt Ihr bereit, mir zu glauben, dass er einmal ein sehr großer Mann war?«
    Hier konnte sie ihm helfen. »Ich habe es am See feststellen können. Ich weiß, dass es so war, Aileron.«
    »Ich habe es mitangesehen, bis ich es kaum mehr ertragen konnte«, fuhr er fort und hatte sich nun wieder gefasst. »Dann bildeten sich im Palast Parteien, die sich für seinen Rücktritt zu meinen Gunsten aussprachen. Ich habe zwei Männer getötet, die in meiner Anwesenheit davon gesprochen haben, aber mein Vater wurde misstrauisch und ängstlich. Ich konnte nicht mehr mit ihm reden.«
    »Und Diarmuid?«
    Die Frage schien ihn echt zu überraschen. »Mein Bruder? Er war die meiste Zeit betrunken oder aber damit beschäftigt, Hofdamen zur Südfeste zu schleppen. Und dort unten den Hüter der Mark zu spielen.«
    »Mir scheint doch mehr an ihm dran zu sein«, wandte Kim milde ein.
    »In den Augen einer Frau, vielleicht.«
    Sie blinzelte. »Das«, stellte sie fest, »ist eine Beleidigung.« Er dachte darüber nach. »Vermutlich ja«, gab er zu. »Es tut mir leid.« Dann überraschte er sie erneut. »Ich bin kein Meister darin«, gestand Aileron mit abgewandtem Blick ein, »mich beliebt zu machen. Bei Männern rufe ich letzten Endes Respekt hervor, wenn auch widerwillig, weil ich in einigem, das sie schätzen, doch … ein wenig Geschick an den Tag lege. Bei Frauen dagegen fehlt es mir an Geschick.« Die beinahe schwarzen Augen wandten sich ihr wiederum zu. »Obendrein bin ich von meinen Sehnsüchten nicht leicht zu erschüttern, und ich werde ungeduldig, mischt man sich in meine Angelegenheiten.«
    Er war noch nicht fertig. »Ich sage Euch dies, nicht weil ich erwarte, mich zu ändern, sondern damit Ihr wisst, dass ich mir dessen bewusst bin. Es wird Menschen geben, denen ich vertrauen muss, und wenn Ihr eine Seherin seid, müsst ihr dazugehören, und ich fürchte, Ihr müsst mich nehmen, wie ich bin.«
    Hierauf setzte, kaum eine Überraschung, Schweigen ein. Zum ersten Mal bemerkte sie Malka und rief leise nach ihr. Die schwarze Katze sprang aufs Bett und rollte sich in ihrem Schoß zusammen.
    »Ich werde es mir überlegen«, beschied sie ihm schließlich. »Versprechen kann ich nichts; ich bin selber recht eigensinnig. Darf ich mir, um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen, die Bemerkung erlauben, dass Loren einiges von Eurem Bruder zu halten scheint, und Silbermantel, außer mir habe da etwas übersehen, ist keine Frau.« Zu schroff, dachte sie. Hier musst du dich vorsehen.
    Ailerons Blick war nicht zu deuten. »Er war unser Lehrer, als wir noch Kinder waren«, meinte er. »Er hegt immer noch Hoffnung, bei Diarmuid etwas zu retten. Und um der Ehrlichkeit halber, mein Bruder ruft bei seinen Gefolgsleuten tatsächlich Zuneigung hervor, und das muss wohl irgend etwas bedeuten.«
    »Irgend etwas«, wiederholte sie ernsthaft. »Ihr seht also nicht, was bei ihm zu retten wäre?« Im Grunde war es pure Ironie: Ihr hatte Diarmuid überhaupt nicht gefallen, und jetzt war sie dabei …
    Aileron zuckte statt einer Antwort nur vielsagend die Achseln. »Dann lassen wir es dabei«, schlug sie vor. »Wollt Ihr Eure Geschichte beenden?«
    »Es ist wenig geblieben, was noch zu sagen wäre. Als letztes Jahr die Regenfälle zurückgingen und in diesem Frühling ganz aufhörten, hatte ich den Verdacht, dass das kein Zufall war. Ich hegte den Wunsch, für ihn zu sterben, damit ich nicht mehr mit anzusehen brauchte, wie er dahinsiechte. Oder den Ausdruck in seinen Augen sehen musste. Ich konnte nicht damit leben, dass er mir misstraute. Daher bat ich ihn um Erlaubnis, zum Sommerbaum zu gehen, und er hat sie mir verweigert. Wieder habe ich ihn gebeten, und noch einmal hat er abgelehnt. Dann erreichte Paras Derval die Nachricht, dass auf den Bauernhöfen Kinder starben, und ich habe ihn noch einmal in Anwesenheit des gesamten

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