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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Preis, erinnerst du dich?« In geändertem Ton fuhr er fort: »Einige Segnungen waren mir vergönnt. Du hast gehört, was Ysanne heute früh im Thronsaal gesagt hat. Sie behauptete, sie habe mich geliebt. Das habe ich nie gewusst. Ich glaube nicht«, grübelte der König leise, wobei er sich endlich Paul zuwandte, »dass ich Marrien, der Königin, davon erzählen werde.«
    Nachdem er sich mit allem Respekt, der ihm zu Gebote stand, verneigt hatte, verließ Paul den Raum. Seine Kehle war seltsam zugeschnürt. Marrien, die Königin. Er schüttelte den Kopf und trat unsicher hinaus auf den Flur. Ganz in der Nähe löste sich ein hochgewachsener Schatten von der Wand.
    »Kennst du den Weg?« fragte Coll. »Nein, eigentlich nicht«, antwortete Paul. »Ich glaube nicht.«
     
    Sie durchquerten mit widerhallenden Schritten die Hallen des Palastes. Jenseits der Mauern zeigte sich im Osten, über Gwen Ystrat, soeben die Dämmerung. Im Innern des Palastes war es jedoch immer noch dunkel.
    Vor seiner Zimmertür wandte Paul sich an Diarmuids Mann. »Coll«, fragte er, »was ist das, ›Der Baum‹?«
    Der vierschrötige Soldat erstarrte. Nach einer Weile hob er die Hand und rieb sich den breiten Rücken seiner gebrochenen Nase. Sie waren stehen geblieben; Paras Derval hüllte sich in Schweigen. Für einen Augenblick dachte Paul, seine Frage würde nicht beantwortet werden, aber dann begann Coll doch mit gesenkter Stimme zu sprechen.
    »Der Sommerbaum?« erklärte er. »Er steht im Walde westlich der Stadt. Geweiht ist er Mörnir, dem Donnergott.«
    »Warum ist er von Bedeutung?«
    »Weil er«, gab Goll noch leiser Auskunft, »der Ort ist, an den der Gott in alter Zeit den Großkönig rief, wenn das Land in Not war.«
    »Warum wurde er dorthin gerufen?« »Um am Sommerbaum zu hängen und zu sterben«, beschied ihm Coll kurz angebunden. »Ich habe schon zuviel gesagt. Dein Freund ist heute Nacht bei der Edlen Rheva, glaube ich. Ich komme in einer Weile wieder, dich zu wecken; wir haben heute noch einen langen Ritt vor uns.« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und entfernte sich. »Coll!« Der hochgewachsene Mann drehte sich langsam um. »Ist es immer der König, der hängen muss?«
    Colls breites, sonnenverbranntes Gesicht war von Besorgnis gezeichnet. Als er schließlich antwortete, schien das gegen seinen Willen zu geschehen. »Prinzen königlichen Geblüts sollen es manchmal statt seiner auf sich genommen haben.«
    »Was Diarmuids Verhalten gestern Abend erklärt. Coll, ich möchte dich wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen – aber wenn ich eine Vermutung darüber anstellen sollte, was hier geschehen ist, würde ich annehmen, dass Ailell wegen der Dürre gerufen wurde, oder dass es eine Dürre gibt, weil er dem Ruf nicht gefolgt ist, und ich würde auch vermuten, dass ihn die ganze Sache furchtbar ängstigt und dass Loren ihn darin unterstützt, weil er kein Vertrauen in die Kräfte des Sommerbaums hat.« Nach kurzem Zögern nickte Coll steif, und Schafer fuhr fort.
    »Weiterhin würde ich es für möglich halten, und dies ist wirklich nur eine Vermutung, dass Diarmuids Bruder sich an Stelle des Königs opfern wollte und Ailell es ihm verbot – und dass er darum nicht mehr da und Diarmuid Thronerbe ist. Wäre eine solche Mutmaßung begründet?«
    Coll war dicht herangetreten, während Schafer sprach. Jetzt blickte er mit seinen ehrlichen braunen Augen forschend in die von Paul. Dann schüttelte er den Kopf, und sein Gesicht war von einer Art Ehrfurcht gezeichnet.
    »Das hier geht tiefer, als ich folgen kann. Es ist«, bestätigte er, »eine richtige Vermutung. Der Großkönig muss der Wahl seines Stellvertreters zustimmen, und als er sich weigerte, hat ihn der Prinz verflucht; das ist Hochverrat, und er wurde verbannt. Und jetzt steht der Tod darauf, seinen Namen auszusprechen.«
    In der Stille, die diesen Worten folgte, schien es Paul, als senke sich die Nacht mit ihrem ganzen Gewicht auf sie beide herab.
    »Mir fehlt die Macht dazu«, erklärte Coll endlich mit seiner tiefen Stimme, »aber wenn ich sie besäße, hätte ich ihn auch im Namen sämtlicher Göttinnen und Götter verflucht.«
    »Wen?« flüsterte Paul. »Den Prinzen, natürlich«, sagte Coll. »Den Prinzen im Exil, Diarmuids Bruder Aileron.«

 
Kapitel 6
     
    Jenseits der Torc des Palastes und der Mauern der Stadt waren die Verheerungen der Dürre nicht zu übersehen. Die Folgen eines regenlosen Sommers ließen sich ermessen am schweren Staub der Straße,

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