Silbermantel
Menschen überließen, schien jede Nuance des Lichtes im Raum eingefangen und dann umgewandelt zu werden. Das Orangerot der Wandfackeln, das rötliche Flackern der Kerzen, selbst das blauweiße, diamantene Sternenlicht, das durchs Fenster hereinfiel, all das verwob sich in unablässiger, verschlungener Bewegung, als werde es im Innern des Zepters auf einem Webstuhl verarbeitet.
»Ein Rufglas«, murmelte der König, als er auf das Geschenk herabsah. »Dies ist wahrlich ein Schatz. Es ist sechshundert Jahre her, dass eines davon sich in unseren Mauern befand.«
»Und wessen Schuld war das?« fragte Brendel kalt.
»Das ist ungerecht, mein Freund«, erwiderte Ailell darauf, in etwas schärferem Ton. Die Worte des Lios schienen in ihm einen Funken von Stolz zum Glimmen zu bringen. »Als Vailerth, der Großkönig, das Rufglas zerbrach, war das seinem allumfassenden Wahn zuzuschreiben – und Brennin hat im Bürgerkrieg für diesen Wahn einen blutigen Preis gezahlt.« Die Stimme des Königs hatte neue Festigkeit gewonnen. »Richte Ra-Tenniel aus, dass ich sein Geschenk annehme. Sollte er es benutzen, uns zu rufen, wird sein Ruf nicht ungehört verhallen. Teilt Eurem Fürsten das mit. Morgen werde ich mit meinem Rat über die anderen Neuigkeiten sprechen, die Ihr brachtet. Wir werden ein Auge auf Pendaran haben, das versichere ich Euch.«
»Im Innersten meines Herzens fürchte ich, dass mehr als nur ein Auge erforderlich sein könnte, Großkönig«, antwortete Brendel, nun wieder mit sanfter Stimme. »Es regen sich Mächte in Fionavar.«
Ailell nickte bedächtig. »Das hat Loren mir bereits vor einiger Zeit mitgeteilt.« Er zögerte, dann fuhr er beinahe widerwillig fort. »Sagt, Na-Brendel, wie steht es um Daniloths Wachtstein?«
»Genauso wie an jenem Tag, da Ginserat ihn fertigte!« entgegnete Brendel hitzig. »Die Lios Alfar vergessen nicht. Achtet auf Euren eigenen, Großkönig!«
»Es war keine Kränkung beabsichtigt, Freund«, lenkte Ailell ein, »aber Ihr wisst, dass die Wächter die Glut des Naalfeuers erhalten müssen. Und ebenso müsst Ihr wissen: Auch die Nachkommen von Conary und Colan, und von Ginserat selbst, gedenken noch des Bael Rangat. Unser Stein ist so blau, wie er immer war und, so die Götter uns gnädig sind, auf ewig bleiben wird.« Es folgte ein kurzes Schweigen; Brendels Augen glühten jetzt mit lichter Intensität. »Kommt!« forderte sie Ailell plötzlich auf, erhob sich und überragte sie in seiner Größe. »Kommt, ich zeige es Euch!«
Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt auf sein Schlafgemach zu, öffnete die Tür und trat hindurch. Als er ihm rasch folgte, erhaschte Paul einen Blick auf das riesige Himmelbett des Königs und die Gestalt des Pagen Tarn, der auf einer Liege in einem Winkel des Raums schlief. Doch Ailell verlangsamte nicht seine Schritte, und Paul und der Lios Alfar mussten sich beeilen, um mithalten zu können, als der König in der gegenüberliegenden Wand der Schlafkammer eine weitere Tür öffnete und durch sie in einen kurzen Gang gelangte, an dessen Ende sich wiederum eine massive Tür befand. Dort hielt er schwer atmend inne.
»Wir befinden uns über dem Gelass des Steins«, sagte Ailell, wobei das Sprechen ihm einige Mühe bereitete. Er löste eine Sperre in der Mitte der Tür und schob ein kleines hölzernes Rechteck beiseite, wodurch es ihnen ermöglicht wurde, in den dahinterliegenden Raum hinabzublicken.
»Colan selbst ließ dies anfertigen«, erklärte ihnen der König, »als er mit dem Stein von Rangat zurückkehrte. Man sagt, er sei den Rest seiner Tage des Nachts häufig aufgestanden und habe sich in diesen Korridor begeben, um Ginserats Stein zu betrachten und sich mit der Gewissheit zu trösten, dass er sich in unverändertem Zustand befand. In letzter Zeit habe ich ein ähnliches Verhalten bei mir selbst festgestellt. Seht her, Na-Brendel vom Falken; hier seht Ihr den Wachtstein des Großkönigtums.«
Wortlos trat der Lios vor und legte sein Auge an die Öffnung in der Tür. So blieb er lange Zeit stehen, und als er sich endlich abwandte, schwieg er weiterhin.
»Und Ihr, junger Pwyll, schaut auch Ihr und vergewissert Euch, ob das Blau der Fesselung immer noch aus dem Stein leuchtet.« Ailell machte eine Handbewegung, und Paul trat an Brendel vorbei, um ebenfalls sein Auge an die Öffnung zu legen. Er erblickte eine kleine Kammer mit schmucklosen Wand- und Bodenflächen, bar jeglichen Mobiliars. Genau im Mittelpunkt des Raums stand ein Gebilde
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