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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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an.«
    Mit staunenden Augen streifte sie den Reif über ihr Handgelenk, und als sie das tat, verschwand der Schmerz, das Leid, das Weh, alles war vergangen. Sie war sich ihrer noch bewusst, aber nur schwach, denn der Vellin war ihr Schutz, und sie spürte, wie er sie abschirmte, verwundert schrie sie auf.
    Aber die Erleichterung auf ihrem Gesicht spiegelte sich nicht in dem des Zwergs. »Ah«, sagte Matt Sören grimmig, »also hatte ich recht. Es werden dunkle Fäden auf dem Webstuhl verwoben. Möge der Weber uns gnädig sein, dass Loren bald zurückkehrt.«
    »Warum?« begehrte Kim zu erfahren. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Wenn der Vellin dich vor dem Schmerz des Landes schützt, dann kann dieser Schmerz nicht natürlichen Ursprungs sein. Und wenn es eine Macht gibt, die stark genug ist, dem ganzen Großkönigtum so etwas anzutun, dann macht mir das angst. Ich beginne mich zu fragen, ob an den alten Geschichten über Mörnirs Baum nicht doch etwas dran ist, und an dem Pakt, den der Gründer mit dem Gott schloss. Wenn es allerdings nicht so ist, wage ich nicht daran zu denken, was es sonst sein könnte. Komm«, forderte der Zwerg sie auf, »es ist an der Zeit, dass ich dich zu Ysanne bringe.«
    Mit eiligen Schritten führte er sie nun um einen Ausläufer des Hangs herum, und als sie daran vorbei waren, erblickte sie den See: ein blaues Juwel, umgeben von einer Kette niedriger Hügel. Und wie durch ein Wunder gab es am See noch Grün und das verschwenderische Farbgesprenkel wildwachsender Blumen.
    Kim blieb wie angewurzelt stehen. »O Matt!« Der Zwerg schwieg, während sie entzückt auf das Wasser hinabsah. »Es ist ein hübscher Anblick«, pflichtete er ihr endlich bei. »Aber wenn du je Calor Diman zwischen den Bergen gesehen hättest, würdest du dir etwas von der Lobpreisung in deinem Herzen aufsparen für die Königin der Gewässer.«
    Als Kim den veränderten Klang in seiner Stimme vernahm, schaute sie ihn einen Moment lang an; dann holte sie tief Luft, schloss die Augen und schwieg lange Zeit. Als sie wieder zu sprechen anhob, geschah dies in einem Tonfall, der nicht ihr eigener war.
    »Zwischen den Bergen«, sagte sie. »Sehr hoch droben liegt er. Im Sommer rinnt der schmelzende Schnee in den See. Die Luft ist dünn und klar. Adler kreisen. Das Sonnenlicht verwandelt den See in goldenes Feuer. Von diesem Wasser zu trinken, bedeutet, das Licht zu schmecken, das darauf fällt, ob Sonne, Mond oder Sterne. Und unter dem Vollmond ist Calor Diman tödlich, denn dieses Bild verblasst so wenig wie seine Anziehungskraft. Ein Gezeitensog im Herzen. Nur der wahre König der Zwerge erträgt diese Nachtwache, ohne dem Wahn zu verfallen, und er erträgt es um der Diamantenkrone willen. Er muss sich mit der Königin der Gewässer vermählen, indem er die ganze Nacht bei Vollmond an ihren Ufern ruht. Dadurch wird er bis ans Ende seiner Tage an Calor Diman gebunden, wie es für den König unerlässlich ist.«
    Und Kimberly öffnete die Augen und blickte den ehemaligen König der Zwerge geradeheraus an. »Warum, Matt?« fragte sie, wieder in ihrer eigenen Stimme. »Warum bist du fortgegangen?«
    Er gab keine Antwort, begegnete jedoch unverwandt ihrem Blick. Nach einer Weile wandte er sich, immer noch schweigend, von ihr ab und führte sie auf dem gewundenen Pfad zu Ysannes See hinunter. Dort erwartete sie sie bereits, die Träumerin des Traums, und in ihrem Blick lag Wissen, und Mitleid, und etwas anderes, Namenloses.
    *
    Kevin Laine hatte es noch nie verstanden, seine Gefühle erfolgreich zu verbergen, und jene so beiläufig und ohne Umschweife vorgenommene Hinrichtung hatte ihn zutiefst erschüttert. Während des ganzen harten Ritts an diesem Tag hatte er kein Wort gesprochen, und als der Abend dämmerte, war er nach wie vor blass, denn er hatte versäumt, seinem Ärger Luft zu machen. In der zunehmenden Dunkelheit durchquerte die Schar stärker bewaldetes Gelände, das nach Süden hin allmählich abfiel. Die Straße lief an einem dichten Waldstück entlang, und dahinter waren in etwa achthundert Metern Entfernung die Türme einer kleinen Festung zu sehen.
    Diarmuid zugehe sein Pferd. Er wirkte immer noch frisch, unberührt von der Tatsache, dass er den ganzen Tag im Sattel gesessen hatte, und Kevin, dessen Knochen und Muskeln heftig weh taten, fixierte den Prinzen mit eisigem Blick.
    Er wurde jedoch ignoriert. »Rothe«, befahl Diarmuid einem untersetzten Mann mit braunem Bart, »du reitest hin. Sprich mit Averren, mit

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