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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Stein, stand Paul Schafer vor Ailell und hielt eine Schachfigur in der ausgestreckten Hand, und als sie näher herankam, erkannte Kim, dass es sich um den weißen König handelte, und dass er zerbrochen war. Um sie herum erklang Musik, die sie nicht wieder zu erkennen vermochte, obwohl sie wusste, dass dies eigentlich hätte der Fall sein müssen. Ailell sprach Worte, die sie nicht hören konnte, weil die Musik zu laut war, und dann sagte Paul etwas, und sie mühte sich verzweifelt, etwas zu verstehen, doch die Musik … Und dann hielt der König seine Kerze hoch und begann wieder zu sprechen, und sie schaffte es nicht, schaffte es nicht, schaffte es nicht.
    Dann zerbarst all das in nichts, als ein Hund aufheulte, so laut, dass das Universum davon erfüllt wurde.
    Und sie erwachte bei morgendlichem Sonnenschein und beim Duft von Essen, das über dem Herdfeuer brutzelte.
    »Guten Morgen«, begrüßte sie Ysanne. »Komm und iß, ehe Malka alles stiehlt. Danach habe ich dir etwas zu zeigen.«
    *
    Coll stieß auf der Straße nördlich der Stadt wieder zu ihnen. Paul Schafer trieb sein Pferd neben den Rotschimmel, auf welchem der große Mann ritt.
    »Eine geheime Mission?« fragte er. Colls Augen über seiner gebrochenen Nase blickten wachsam drein. »Eigentlich nicht. Aber er wollte etwas erledigt wissen.«
    »Und das heißt?« »Der Mann musste sterben, aber seiner Frau und den Kindern kann geholfen werden.«
    »Also hast du ihnen Geld gegeben. Ist das der Grund, warum er vorhin in der Schenke haltgemacht hat? Um dir Zeit zu geben? Es lag nicht bloß daran, dass er Lust hatte, etwas zu trinken, nicht wahr?«
    Coll nickte. »Er hat oft Lust, etwas zu trinken«, bemerkte er und verzog das Gesicht, »aber nur selten handelt er ohne Grund. Sage mir doch«, fuhr er fort, als Schafer darauf nichts erwiderte, »glaubst du, er hat unrecht getan?«
    Pauls Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.
    »Gorlaes hätte ihn hängen lassen«, drängte Coll, »und dafür gesorgt, dass man den Leichnam in Stücke reißt. Seine Familie wäre ihrer Ländereien enteignet worden. Nun dagegen wird sein ältester Sohn zur Südfeste gehen und ausgebildet werden, um einer der unseren zu werden. Glaubst du wirklich, er hat unrecht getan?«
    »Nein«, antwortete Schafer zögernd, »ich denke lediglich, dass der Verrat dieses Bauern, während alle anderen verhungern, möglicherweise die beste Methode war, die ihm eingefallen ist, für seine Familie zu sorgen. Hast du Familie, Coll?«
    Worauf Diarmuids Stellvertreter, der keine hatte und sich nach wie vor darum bemühte, diesen merkwürdigen Besucher gern zu haben, keine Antwort wusste. Sie ritten in der Hitze des Nachmittags weiter gen Norden, zu beiden Seiten die ausgedörrten Felder, die fernen Hügel wie schimmernde Trugbilder oder die Hoffnung auf Regen.
    *
    Die Falltür unter dem Tisch war nicht zu sehen gewesen, bis Ysanne kniend die Hand auf den Boden gelegt und ein Bannwort gesprochen hatte. Da erschienen zehn Stufen, die nach unten führten; die rauen Steinwände zu beiden Seiten fühlten sich feucht an. In die Wände waren Halterungen eingelassen, jedoch keine Fackeln, denn vom Fuß der Treppe drang ein schwacher Lichtschein herauf. Verwundert folgte Kim der Seherin und Malka, der Katze, nach unten.
    Die Kammer war klein, eher eine Höhle als ein Raum. Noch ein Bett, ein Arbeitstisch, ein Stuhl, ein gewebter Teppich auf dem Steinfußboden. Ein paar Pergamente und Bücher, augenscheinlich sehr alt, auf dem Tisch. Noch etwas: an der gegenüberliegender, Wand stand ein Schrank mit Glastüren, und in diesem Schrank lag, wie ein eingefangener Stern, die Lichtquelle.
    In der Stimme der Seherin klang Ehrfurcht mit, als sie das Schweigen brach. »Jedes Mal, wenn ich ihn sehe …«, flüsterte Ysanne. »Dies ist Lisens Reif«, sagte sie im Weitergehen. »Er wurde für sie geschaffen von den Lies Alfar in jenen Tagen, als der Pendaranwald noch kein Ort des Schreckens war. Sie setzte ihn sich auf die Stirn, nachdem sie den Anorturm für sie gebaut hatten, und sie stand auf jenem Turm am Meer, ein sternengleiches Licht auf ihrer Seite, um Amairgen den Weg zu weisen, den Weg nach Hause aus Cader Sedat.«
    »Und er ist nie zurückgekehrt.« Kims Stimme kam ihr selbst, obwohl auch sie flüsterte, ganz rau vor. »Eilathen hat mir das gezeigt. Ich habe sie sterben gesehen.« Der Reif, erkannte sie, war aus purem Gold, doch das Licht, das in ihm gefangen war, war sanfter als das des Mondes.
    »Sie ist

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