Silbermantel
»Das war vor der Zeit«, unterbrach Matt sie. »Vor der Zeit, als ich Loren begegnet bin. Ich … möchte nicht darüber sprechen.«
Sie geriet in Verlegenheit. »Tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich war wohl zu neugierig.«
Der Zwerg zog eine Grimasse, aber inzwischen erkannte sie darin sein Lächeln. »Eigentlich gar nicht«, meinte er. »Und es macht auch nichts. Diese Wunde ist schon sehr alt.«
»Das alles ist nur so seltsam«, entschuldigte sie sich. »Es übersteigt mein Fassungsvermögen, was es dir bedeutet haben muss.«
»Ich weiß. Selbst hier fehlt das Verständnis für uns sechs. Auch das für die Gesetze, denen der Rat der Magier unterliegt. Man fürchtet uns, respektiert uns, und ganz selten liebt man uns.«
»Was für Gesetze?« fragte sie. Zunächst zögerte er, dann erhob er sich. »Lass uns weitergehen«, schlug Matt vor. »Ich werde dir eine Geschichte erzählen, doch ich muss dich warnen, mit einem der Cyngael wärest du besser dran, denn ich bin ein schlechter Geschichtenerzähler.«
»Das Risiko will ich gern eingehen«, entgegnete Jennifer mit einem Lächeln.
Während sie am Rande des Saals entlangschritten, begann er zu erzählen. »Vierhundert Jahre ist es her, da verfiel der Großkönig dem Wahnsinn. Vailerth wurde er genannt, einziger Sohn Lernaths, des letzten Königs von Brennin, der am Sommerbaum gestorben ist.«
Auch hierzu hatte sie Fragen, hielt sie jedoch zurück. »Als Kind war Vailerth hochbegabt«, fuhr Matt fort, »so steht es zumindest in den Aufzeichnungen aus jener Zeit, doch es hat den Anschein, als sei in seinem Innern etwas zerbrochen, als sein Vater starb und er den Thron bestieg. Eine schwarze Blume ist in seinem Hirn erblüht, wie die Zwerge zu sagen pflegen, wenn etwas Derartiges geschieht.
Erster Magier am Hofe Vailerths war ein Mann namens Nilsom, dessen Quelle eine Frau war. Aideen hieß sie, und sie hatte Nilsom zeit ihres Lebens geliebt, so heißt es jedenfalls in den Aufzeichnungen.«
Matt ging einige Schritte, ohne etwas zu sagen. Jennifer hatte das Gefühl, dass es ihm leid tat, mit der Geschichte angefangen zu haben, doch gleich darauf sprach er weiter. »Es kam selten vor, dass ein Magier eine Frau zur Quelle hatte, zum Teil deswegen, weil man in Gwen Ystrat, wo die Priesterinnen Danas lebten, jede Frau verfluchte, die sich auf so etwas einließ. Eine Seltenheit war es immer; und seit Aideen ist es noch seltener vorgekommen.«
Sie blickte zu ihm hinüber, doch die Gesichtszüge des Zwerges waren gänzlich unbewegt.
»Viel Böses ergab sich aus Vailerths Wahnsinn. Nach einiger Zeit sprach man gar darüber, dass es im Lande zum Bürgerkrieg kommen werde, denn er hatte Kinder, Jungen wie Mädchen, aus dem Elternhaus fortzuholen begonnen und sie des Nachts in den Palast gebracht. Man bekam sie nie wieder zu Gesicht, und die Gerüchte darüber, was der Großkönig ihnen antat, waren sehr schlimm. Und bei diesen Taten, bei all den finsteren Taten stand Nilsom dem König zur Seite, und manch einer behauptet, er sei es gewesen, der Vailerth dazu anstachelte. Finster war ihr Gewirk, und Nilsom, mit Aideen neben sich, verfügte über so große Macht, dass keiner ihnen offen zu widersprechen wagte. Meine eigene Vorstellung geht dahin«, fügte der Zwerg hinzu und wandte sich ihr zum ersten Mal wieder zu, »dass er ebenfalls wahnsinnig war, wenn auch auf gefühllosere, gefährlichere Weise. Doch es ist lange her, und die Aufzeichnungen sind lückenhaft, da viele unserer kostbarsten Bücher im Krieg zerstört wurden. Am Ende kam es tatsächlich zum Krieg, denn eines Tages gingen Vailerth und Nilsom zu weit: Sie verkündeten die Absicht, in den Götterwald zu ziehen und den Sommerbaum zu fällen.
Da empörte sich ganz Brennin, bis auf das Heer, das Vailerth aufgestellt hatte. Denn dieses Heer war ihm ergeben und schlagkräftig, und Nilsom war außerordentlich stark, stärker als die anderen fünf Magier Brennins zusammengenommen. Und dann, am Vorabend des Krieges, war nur noch einer der anderen Magier übrig, denn vier wurden tot aufgefunden, wie auch ihre Quellen.
Da brach im Großkönigtum der Bürgerkrieg aus. Nur Gwen Ystrat beteiligte sich nicht daran. Aber die Herzöge von Rhoden und Seresh, die Hüter der Nordmark und der Südmark, die Bauern und die Städter und die Seeleute aus Taerlindel, sie alle zogen gegen Vailerth und Nilsom zu Felde.
Doch ihre Zahl reichte nicht aus. Nilsoms Macht war damals, gespeist von Aideens Kraft und ihrer Liebe, der
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