Silbermantel
Überlieferung zufolge größer als die irgendeines Magiers seit Amairgens Zeit. Er brachte Tod und Verderben über all jene, die sich ihm entgegenstellten, und die Felder waren blutgetränkt vom Mord des Bruders am Bruder, während Vailerth in Paras Derval lachen konnte.«
Wieder hielt Matt inne, und als er fortfuhr, klang seine Stimme tonlos. »Die letzte Schlacht wurde im Hügelland geschlagen, ein Stück westlich von uns, zwischen dem Palast und dem Götterwald. Vailerth, so heißt es, kletterte auf die höchsten Zinnen seines Palastes, um Nilsom zuzusehen, wie er sein Heer dem endgültigen Sieg zuführte, wonach nur noch die Toten zwischen ihnen und dem Baum stehen sollten.
Doch als an jenem Morgen die Sonne aufging, trat Aideen vor ihren Magier, den sie liebte, und sie sagte zu ihm, sie wolle sich nicht länger für ihn und sein Vorhaben verzehren. Und mit diesen Worten zog sie ein Messer und ließ statt dessen den Saft ihres Lebens aus ihren Adern fließen und starb.«
»O nein«, rief Jennifer aus. »O Matt!«
Er schien sie nicht gehört zu haben. »Hiernach ist nicht mehr viel zu berichten«, erzählte er mit immer noch ganz tonloser Stimme weiter. »Nachdem Nilsom seiner Macht beraubt war, wurde das Heer Vailerths überrannt. Die Soldaten warfen ihre Schwerter und Speere zu Boden und baten um Frieden. Nilsom war hierzu nicht bereit, und am Ende wurde er vom letzten Magier Brennins getötet. Vailerth sprang von seinem Turm und starb. Aideen wurde in Ehren bestattet, in einem Grab nahe dem Mörnirwald, und Herzog Lagos von Seresh wurde in diesem Saal zum König gekrönt.«
Inzwischen waren sie einmal im Kreis herum, standen wieder bei den Bänken unter dem letzten Fenster, in der Nähe des Throns. Über ihren Köpfen leuchtete Colans goldblondes Haar im Sonnenlicht, das sich durch die Fenster ergoss.
»Mir bleibt nur, dir zu erzählen«, schloss Matt Sören seine Geschichte und sah ihr dabei ins Gesicht, »dass bei jeder Zusammenkunft des Rates der Magier zur Wintersonnenwende des Namens Nilsom gedacht wird, indem wir ihn feierlich verfluchen.«
»Recht so«, stimmte Jennifer aufgebracht zu.
»Und ebenso«, sagte der Zwerg leise, »des Namens Aideen.« »Was?«
Matt hielt ihrem Blick stand. »Sie hat ihren Magier verraten«, erklärte er ihr. »Nach den Gesetzen unseres Ordens gibt es kein schlimmeres Verbrechen. Ohne Rücksicht auf den Anlass. Jedes Jahr zur Wintersonnenwende verfluchen Loren und ich sie in Gedanken, und wir meinen es damit ernst. Und jedes Jahr«, fügte er ganz leise, ganz sanft hinzu, »wenn im Frühling der Schnee schmilzt, legen wir die ersten Feldblumen auf ihr Grab.«
Vor seinem steten Blick wandte Jennifer den Kopf ab. Sie fühlte sich den Tränen nahe. Sie war viel zu weit von zu Hause fort, und alles war so schwer zu verstehen und fremdartig. Warum sollte man so eine Frau verfluchen? Das war zu viel für sie. Was sie brauchte, stellte sie fest, war Bewegung, fünfzig kräftige Schwimmzüge in einem Becken, damit sie wieder einen klaren Kopf bekam, sonst … oder besser noch …
»O Matt«, wandte sie sich nach kurzer Pause an ihn, »ich muss mich bewegen, muss irgend etwas tun. Gibt es hier vielleicht Pferde, auf denen wir reiten könnten?«
Und ausgerechnet das brachte den Zwerg aus der Fassung. Überraschenderweise wurde er rot. »Natürlich gibt es hier Pferde«, sagte er verlegen, »aber ich fürchte, ich werde mich dir nicht anschließen – wir Zwerge reiten nicht zum Vergnügen. Aber warum nimmst du nicht Laesha und Drance mit?«
»Gut«, willigte sie ein, doch dann zögerte sie, wollte sich plötzlich gar nicht von ihm losreißen.
»Sollte ich dich geängstigt haben, dann tut es mir leid«, entschuldigte sich Matt. »Das ist eine schlimme Geschichte.«
Jennifer schüttelte den Kopf. »Bestimmt schlimmer für dich als für mich. Danke, dass du mich an ihr hast Anteil nehmen lassen. Vielen Dank.« Und indem sie sich rasch zu ihm herabbeugte, küsste sie ihn auf die Wange und rannte auf der Suche nach Laesha aus dem Saal, wo sie einen normalerweise recht phlegmatischen Zwerg in einem Zustand außerordentlicher Erschütterung zurückließ.
Und so kam es dazu, dass drei Stunden später die beiden Frauen zusammen mit Diarmuids Gefolgsmann jene Anhöhe östlich der Stadt heraufgaloppiert kamen, wo sie in ungläubigem Staunen ihre erschöpften Pferde zum Stehen brachten, während eine kleine Gruppe himmlischer Gestalten ihnen entgegenkam, mit Schritten so leicht,
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