Silbermantel
natürlich konnte er, aber er hat überhaupt keine Freude daran gehabt, das habe ich gleich gesehen. Es war alles nur mir zuliebe … und ich bin doch nicht, ich habe ihm nichts gegeben, und … und …«
»Und was, um Gottes willen?«
»Und deshalb habe ich geweint«, berichtete Tiene, so als hätte ihm das klar sein müssen. »Und als ich geweint habe, ist er fortgegangen. Und er hat mich losgeschickt, dich zu suchen. Mein edler Herr.«
Sie war inzwischen weiter auf das Bett gekrochen, zum Teil deswegen, weil Marna ihr Platz gemacht hatte. Tienes dunkle Augen standen weit auseinander wie die eines Rehs; ihr Gewand hatte sich geöffnet, und Kevin konnte den Ansatz des tiefen Bogens ihrer Brüste sehen. Dann spürte er, wie sich Marnas Hand an seinem Schenkel unter der Decke leise regte. Ganz plötzlich pochte es in seinem Schädel. Er atmete tief ein.
Und schwang sich hastig aus dem Bett. Derb fluchend stieß er die Beine in seine Reithosen und streifte das Wams mit den weiten Ärmeln über, das Diarmuid ihm gegeben hatte. Ohne sich damit aufzuhalten, die Knöpfe zu schließen, verließ er den Raum.
Auf dem Treppenabsatz war es dunkel. Er tastete sich vor zum Geländer und blickte hinab auf den zertrümmerten Schankraum des »Schwarzen Keilers«. Die tropfenden Fackeln warfen flackernde Schatten auf die Körper, die schlafend auf umgestürzten Tischen und Bänken lagen oder an den Wänden lehnten. Einige Männer unterhielten sich in einem Winkel in gedämpftem Ton, und er hörte in der Nähe der Wand neben sich eine Frau plötzlich auflachen und wieder verstummen.
Dann vernahm er noch etwas. Er hörte, wie die Saiten einer Gitarre angeschlagen wurden.
Seiner Gitarre. Er ging diesem Laut auf den Grund, indem er den Kopf drehte, und da erblickte er Diarmuid, der zusammen mit Coll und Carde am Fenster saß, und der Prinz auf seinem Fenstersitz hielt die Gitarre im Arm, während die anderen auf dem Boden kauerten.
Während er die Treppe hinabging, um sich zu ihnen zu gesellen, gewöhnten seine Augen sich an die Schatten, und er sah weitere Angehörige der Schar, die ganz in der Nähe mit ein paar Frauen neben sich Platz genommen hatten.
»Hallo, Freund Kevin«, wandte sich Diarmuid leise an ihn, und seine Augen leuchteten wie die eines Tieres in der Dunkelheit. »Wärst du bereit, mir zu zeigen, wie man hierauf spielt? Ich habe Coll ausgesandt, das Instrument zu holen. Ich vertraue darauf, dass du darüber nicht böse bist.« Seine Stimme klang verhalten vor mitternächtlicher Trägheit. Hinter ihm konnte Kevin verstreute Sterne erkennen.
»Ja, mein Junge«, grollte ein voluminöser Schatten. »Sing uns ein Lied.« Er hatte Tegid für einen zertrümmerten Tisch gehalten.
Wortlos bahnte Kevin sich den Weg über die am Boden liegenden Gestalten. Er nahm Diarmuid die Gitarre ab, der nun seinerseits vom Fenstersitz glitt und ihm Platz machte. Das Fenster stand offen; er fühlte, wie eine leichte Brise durch seine Nackenhaare strich, während er die Gitarre stimmte.
Es war spät, und dunkel und ruhig. Er war weit weg von zu Hause, und müde und auf unverständliche Weise verletzt. Paul war fortgegangen; selbst heute Nacht hatte er keine Freude empfunden, hatte er sich wieder einmal vor Tränen abgewandt. Selbst heute Nacht, selbst an diesem Ort. So viele Gründe wusste er dafür. Und so teilte er sie mit:
»Dies ist ›Rachels Lied‹«, sagte er und kämpfte gegen die Heiserkeit in seiner Kehle an, während er zu spielen begann. Es war eine Musik, die keiner der hier Anwesenden kennen konnte, doch die Wirkung ihrer Traurigkeit setzte sogleich ein. Dann, nach langer, langer Zeit, hob er seine Stimme, die so tief war, wenn er sang, und seine Worte waren die, welche er einstmals beschlossen hatte, nie zu singen:
Liebste, gedenkest du
Meines Namens? Ich war verloren
In Winter gewordenem Sommer,
Im Frost zu Bitterkeit geboren.
Und wenn aus Juni wird Dezember
Ist das Herz zum Geben erkoren.
Die Wellen schlagen ans weite Ufer,
Am grauen Morgen der Regen fällt,
Darüber der Stein.
Du begräbst deine Trauer
Tief unten im Meer,
Doch die Fluten sind dennoch
Mit Wellen so schwer –
Ein Morgen wird kommen
Da du weinst um mich sehr.
Die Wellen schlagen ans weite Ufer,
Am grauen Morgen der Regen fällt,
Oh, Liebste, gedenke, gedenke mein.
Dann erklang die Musik wieder ohne Worte, in einer anderen Tonart, gründlicher bearbeitet als alles, was er in seinem Leben komponiert hatte, vor allem der
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