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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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niemand sonst besaß. In dieser Welt.
    Er betrat den Götterwald, und es war dunkel. Und alle Bäume seufzten vom Wind in diesem Wald, vom Atem des Gottes. Furcht zeigte sich in den Gesichtern der anderen drei Männer, als dieser Laut um sie herum anschwoll und verebbte wie das Meer.
    Er schritt mit ihnen zwischen den wogenden, wankenden Bäumen hindurch, und nach einer Weile sah er, dass der Pfad, dem sie folgten, aufgehört hatte, sich zu winden. Die Bäume zu beiden Seiten bildeten nun ein doppeltes Spalier, das ihm den Weg wies, daher trat er, von Musik getragen, an Gorlaes vorbei, und er gelangte an jene Stelle, wo der Sommerbaum stand.
    Ungeheuer groß war er, so dunkel, dass er fast schwarz schien, sein Stamm verschlungen und knorrig, so breit wie ein Haus. Er stand ganz allein auf der Lichtung, an jener Opferstätte, und umklammerte die Erde mit Wurzeln so alt wie die Welt, eine Herausforderung an die Sterne, die auf ihn herabschienen, und es war an jenem Ort eine Macht spürbar, die sich jeder Beschreibung entzog. Während Paul Schafer so dastand, spürte er, dass sie nach seinem Blute rief, nach seinem Leben, und in dem Bewusstsein, dass es ihm nicht gelingen würde, drei Nächte an jenem Baum zu überleben, trat er vor, wie um zu verhindern, dass er sich noch einmal umwandte, und die Musik verstummte.
    Da streiften sie seine Kleider ab und banden ihn im Licht des abnehmenden Mondes nackt an den Sommerbaum. Als sie endlich fort waren, herrschte Stille auf der Lichtung, bis auf das unermüdliche Seufzen der Blätter. Allein am Baum spürte er in seinem Fleisch die Unermesslichkeit seiner Macht, und wäre er noch dazu in der Lage gewesen, dann hätte er sich jetzt gefürchtet.
     
    Und dies war die erste Nacht von Pwyll, dem Fremden, am Sommerbaum.

 
Kapitel 8
     
    In einem anderen Waldgebiet östlich von Paras Derval sangen die Lios Alfar immer noch, als Jennifer nach und nach einschlief. Unter den Sternen und der Sichel des aufgehenden Mondes umwoben ihre Stimmen sie mit einer wehmütigen Melodie, welche uralt und von geradezu verschwenderischer Inbrunst war.
    Sie zwang sich, wach zu bleiben, und drehte sich auf dem Lager um, das man ihr bereitet hatte.
    »Brendel?« Er trat zu ihr und kniete nieder. Nun waren seine Augen blau. Das letzte Mal, als sie hingesehen hatte, waren sie grün gewesen wie ihre eigenen, und golden im Hügelland am Nachmittag.
    »Bist du unsterblich?« fragte sie schlaftrunken.
    Er lächelte. »Nein, edle Frau. Das ist den Göttern vorbehalten, und manch einer sagt, dass selbst sie am Ende sterben werden. Wir leben sehr lange, und es ist nicht das Alter, das uns tötet, aber wir sterben dennoch, edle Frau, durch Schwert oder Feuer, oder an gebrochenem Herzen. Und Überdruss verführt uns, auf den Wellen unseres Gesangs davonzusegeln, aber das ist eine ganz andere Sache.« »Segeln?« »Gen Westen liegt ein Ort, der auf keiner Karte verzeichnet ist. Eine Welt, die der Große Weber nur für die Lios Alfar geschaffen hat. und dorthin gehen wir, wenn wir Fionavar verlassen, es sei denn, dass Fionavar selbst zuvor unseren Tod herbeigeführt hat.«
    »Wie alt bist du, Brendel?« »Ich wurde vierhundert Jahre nach dem Bael Rangat geboren. Vor etwas mehr als sechshundert Jahren.«
    Sie nahm es schweigend auf. Zu sagen gab es darauf nichts.
    An ihrer Seite schliefen Laesha und Drance. Der Gesang war wunderschön. Sie ließ sich von ihm in einen Dämmerzustand tragen, und dann in den Schlaf.
    Sein Blick verweilte noch lange auf ihr, die Augen weiter still und blau, erfüllt von tiefer Bewunderung der Schönheit in jeglicher Gestalt. Und an dieser hier war noch etwas Besonderes, sie sah jemandem ähnlich. Das wusste er, oder ahnte zumindest, dass dem so war, doch obgleich er damit recht hatte, wollte ihm nicht einfallen, wem sie ähnlich war, und daher konnte er niemanden warnen.
    Schließlich erhob er sich und stimmte gemeinsam mit den anderen das letzte Lied an, wie jedes Mal Ra-Termaines Klage um die Verlorenen. Sie sangen für jene, die gerade erst bei Pendaran gefallen waren, und für alle anderen vor langer Zeit, welche nie wieder dieses Lied hören würden, oder gar ihr eigenes. Während die Lios sangen, schienen die Sterne über den Bäumen heller zu leuchten, aber das mochte vielleicht nur daran liegen, dass die Nacht immer tiefer wurde. Als das Lied beendet war, dämmten sie das Lagerfeuer und schliefen ein.
     
    Sie waren alt und weise und schön, der Lebensfunke in ihren Augen wie

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