Silbermantel
Part, der jetzt folgte, zusammen mit seinen eigenen, törichten Tränen. Der Teil, in welchem die Melodie weh tat, so schön war sie, so belastet mit Erinnerungen: der für Gitarre umgeschriebene zweite Satz der F-Dur- Cellosonate von Brahms.
Die Töne waren rein und ungetrübt, auch wenn die Kerzen vor seinen Augen nur trübes Licht verstreuten, während Kevin das Stück von Rachel Kincaids Abschlussprüfung spielte und dem Kummer Ausdruck verlieh, der sein war und doch nicht sein.
In den schattenverhangenen Raum hinein erklang es, Rachels Lied; über die schlafenden Gestalten hinweg, die sich regten, als die Trauer ihre Träume berührte; es erreichte jene, die nicht schliefen, die sich beim Zuhören seiner Wirkung nicht entziehen konnten und sich erinnerten, wie sie selber einmal einen Menschen verloren hatten; die Treppe hinauf drang es, wo zwei Frauen am Geländer standen und nun beide weinten; leise erreichte es die Schlafräume, wo die Körper im Liebesakt verschlungen lagen; und aus dem offenen Fenster drang es ebenfalls, hinaus auf die nächtliche Straße und in die dunkle Weite zwischen den Sternen.
Und auf dem unbeleuchteten Straßenpflaster zögerte eine Gestalt vor der Tür der Schenke und kam nicht herein. Die Straße war menschenleer, die Nacht war dunkel, niemand war zu sehen. Ganz still hörte er zu, und als das Lied zu Ende war, ging er leise fort, denn diese Musik war ihm bekannt.
So kam es, dass Paul Schafer, der vor den Tränen einer Frau geflohen war und sich einen Dummkopf gescholten hatte und wieder zurückgekommen war, sich endgültig abwandte, um nie wieder zurückzukehren.
Eine Zeitlang war alles dunkel, ein gewundenes Gewirr von Straßen, ein Tor, wo er im Fackelschein erkannt wurde, und dann erneute Dunkelheit in Gängen, welche still dalagen bis auf das Geräusch seiner eigenen Schritte. Und die ganze Zeit über trug er die Musik mit sich, oder wurde vielmehr von der Musik getragen, oder von der Erinnerung an die Musik. Es kam nicht darauf an.
Er schritt durch das Netz einander kreuzender Korridore, die er schon einmal entlanggegangen war, und einige waren erleuchtet, andere dunkel, und in einigen der Räume, an denen er vorbeikam, gab es auch wieder Geräusche zu hören, aber kein anderer war in jener Nacht in Paras Derval unterwegs.
Und nach einer Weile gelangte er, die Musik in sich und den Kummer, getragen von diesen beiden, an eine Tür, hinter welcher noch ein Lichtstrahl hervordrang, und blieb ein zweites Mal vor ihr stehen.
Es war der mit dem braunen Bart, Gorlaes genannt, der auf sein Klopfen hin aufmachte, und einen Moment lang besann er sich darauf, dass er diesem Mann nicht traute, doch dies erschien ihm eine Besorgnis, die unendlich weit von dort entfernt war, wo er sich befand, und noch dazu eine, auf die es nicht ankam, jetzt nicht mehr.
Dann trafen seine Blicke die des Königs, und er sah, dass Ailell alles wusste, es irgendwie wusste und nicht stark genug war, um zurückzuweisen, worum er ihn jetzt bitten würde, und so kam es, dass er darum bat.
»Ich werde heute Nacht für Euch zum Sommerbaum gehen. Seid Ihr bereit, mir den Abschied zu gewähren und zu tun, was getan werden muss?« Es war, als sei dies vor langer Zeit so vorausbestimmt. Musik erklang.
Ailell weinte, während er sprach, doch er sagte, was gesagt werden musste. Denn es war eine Sache, zu sterben, und eine ganz andere, sinnlos zu sterben, und so hörte er den Worten zu und ließ sie sich mit der Musik verbinden, die ihn mit Gorlaes und zwei weiteren Männern durch eine geheime Pforte aus dem Palast hinaustrug.
Über ihren Köpfen waren Sterne, und in weiter Ferne vor ihnen ein Wald. In seinem Kopf erklang Musik, die scheinbar kein Ende nehmen wollte. Und es hatte den Anschein, als werde er nun doch nicht Kevin Lebewohl sagen, und das stimmte ihn traurig, aber das war nur ein verlorener, winziger Schmerz an jenem Ort, an den er gelangt war.
Dann war der Wald nicht länger weit von ihnen entfernt, und irgendwann musste auf seinem Weg der abnehmende Mond aufgegangen sein, denn nun tauchte er die nächststehenden Bäume in Silber. Immer noch die Musik in seinem Innern und die letzten Worte Ailells: Nun weihe ich dich Mörnir. Drei Nächte lang und in alle Ewigkeit, hatte der König gesagt. Und hatte geweint.
Und jetzt war mit den Worten und der Musik in seinem Kopf, wie er es vorausgesehen hatte, auch das Gesicht wieder erschienen, um das er nicht weinen konnte. Dunkle Augen. Wie sie
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