Silbermantel
in einen Winkel, wo sie sich heftig und krampfartig erbrach. Danach schleppte sie sich unkontrollierbar zitternd zu der Liege im hinteren Teil des Raumes und legte sich nieder.
Wir alle retten, was noch zu retten ist, worauf es uns wirklich ankommt, auch an der Pforte der Verzweiflung. Und so kam es, dass Jennifer Lowell, deren Vater sie von Kindesbeinen an gelehrt hatte, der Welt mit Stolz zu begegnen, sich schließlich aufs neue erhob, sich säuberte, so gut es ging, und in der Hütte, wo es allmählich heller wurde, zu warten begann. Draußen wurde es Tag, doch das war es nicht allein: Die Tapferkeit strahlt ihr eigenes Licht aus.
Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, als sie die Stimmen hörte. Die eine war tief, mit einem Anflug von Belustigung, den sie noch durch die geschlossene Tür ausmachen konnte. Dann sagte der andere Mann etwas, und Jennifer erstarrte ungläubig, denn diese Stimme hatte sie schon einmal gehört.
»Gar nicht schwer«, erwiderte der erste Mann und lachte. »Wenn es gegen die Lios geht, kann man sie ohne weiteres dazu bringen, bei der Sache zu bleiben.«
»Ich hoffe, man ist dir nicht gefolgt. Man darf mich hier auf keinen Fall sehen, Galadan.«
»Keiner wird dich sehen. Sie waren beinahe allesamt tot, und ich habe zehn Wölfe zum Schutz vor den Überlebenden zurückgelassen. Folgen werden sie uns in keinem Fall. Es sind genug der Ihrigen gestorben; für einen Menschen würden sie nicht noch mehr wagen. Sie gehört uns, und es war leichter, als wir erhofft hatten. In der Tat ein seltenes Ereignis, dass wir aus Daniloth Hilfe erhalten.« Und wieder lachte er, boshaft belustigt.
»Wo ist sie?« »Drinnen.«
Die Tür wurde aufgestoßen, und ein greller Lichtstrahl drang in den Raum. Für kurze Zeit geblendet, wurde Jennifer nach draußen auf die Lichtung gezerrt.
»Ein guter Fang, meinst du nicht auch?« raunte Galadan. »Möglicherweise«, gab der andere zu. »Das hängt davon ab, was sie uns über den Grund ihres Hier seins zu sagen hat.«
Jennifer wandte sich der Stimme zu, noch während ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnten, und als es soweit war, fand sie sich von Angesicht zu Angesicht mit Metran, dem Ersten Magier im Dienste des Großkönigs von Brennin.
Doch das war nicht länger jener gebrechliche alte Mann, den sie am ersten Abend gesehen, den sie beobachtet hatte, wie er sich im Großen Thronsaal vor Jaelle geduckt hatte. Metran stand hoch aufgerichtet da, mit boshaft blitzenden Augen.
»Du Verräter!« brach es aus Jennifer hervor. Er machte eine Geste, und sie schrie auf, als sie schamlos in die Spitzen ihrer Brüste gezwickt wurde. Niemand hatte sie angefasst; er hatte es getan, ohne sich auch nur zu rühren.
»Vorsichtig, meine Liebe«, warnte Metran voller scheinheiliger Fürsorge, während sie sich vor Schmerzen wand. »Du musst vorsichtig sein mit dem, was du zu mir sagst. Ich habe die Macht, mit dir zu tun, was immer mir beliebt.« Er wies mit einem Nicken auf Denbarra, seine Quelle, der in seiner Nähe stand.
»Nicht ganz«, wandte die andere Stimme ein. »Lass sie los.« Ihr Tonfall war ganz ruhig, doch der Schmerz hörte augenblicklich auf. Jennifer drehte sich um und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
Galadan war keineswegs groß, hinterließ jedoch den Eindruck geschmeidiger Kraft, der versteckte Hinweis auf bedeutende Macht. Kalte Augen fixierten sie aus einem narbenbedeckten, aristokratischen Gesicht unter der dichten Mähne silbergrauen Haars hervor – wie das von Brendel, dachte sie, gepeinigt von einem ganz anderen Schmerz.
Er verneigte sich vor ihr, höflich und anmutig und voller geheimer Belustigung. Die jedoch verschwand, als er sich Metran zuwandte.
»Sie geht nach Norden, zum Verhör«, bestimmte er. »Ohne dass man ihr ein Leid zufügt.«
»Willst du mir sagen, was ich zu tun habe?« fragte Metran mit erhobener Stimme, und Jennifer sah, wie Denbarra sich versteifte.
»In der Tat, ja, wenn du es so nennen möchtest.« In seiner Stimme lag Hohn. »Hast du vor, darum mit mir zu kämpfen, Zauberlehrling?«
»Ich könnte dich töten, Galadan«, zischte Metran. Der mit Namen Galadan lächelte erneut, allerdings nicht mit den Augen. »Dann versuche es doch. Aber ich sage dir gleich, es wird dir misslingen. Ich stehe außerhalb der Magie, die man dich gelehrt hat, Zauberlehrling. Du verfügst über einige Macht, ich weiß, und hast weitere Macht erhalten und hast vielleicht einst noch größere zu erwarten, doch selbst dann werde
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