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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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    »Loren?« wollte er rufen, doch kaum ein Laut kam über seine aufgesprungenen Lippen. Er versuchte, sie anzufeuchten, doch er hatte keinen Speichel, er war ausgetrocknet. Dann kam die Gestalt näher und blieb unterhalb der Stelle, an der er festgebunden war, im Sternenlicht stehen, und Paul sah, dass er sich geirrt hatte. Die Augen, die den seinen begegneten, waren nicht die des Magiers, und als er in sie blickte, fürchtete er sich, denn es war nicht recht, dass es so enden sollte, ganz und gar nicht recht. Doch der Mann dort unten stand da, von Macht umgeben wie von einem Mantel, selbst noch an jenem Ort, selbst noch auf der Lichtung, wo der Sommerbaum wuchs, und in den dunklen Augen erblickte Paul seinen eigenen Tod.
    Dann sprach der Mann. »Ich kann das nicht zulassen«, sagte er bestimmt. »Du besitzt Mut, und noch etwas, denke ich. Beinahe bist du einer der unseren, und es wäre möglich gewesen, dass wir etwas gemeinsam haben, du und ich. Doch das ist jetzt unmöglich. Das kann ich nicht zulassen. Du beschwörst eine Macht herauf, die zu stark ist für die Wissenden, und sie darf nicht geweckt werden. Nicht, wenn ich so nahe bin. Bist du zu glauben bereit«, fügte die Stimme leise und bestimmt hinzu, »dass es mir leid tut, dich töten zu müssen?«
    Paul bewegte die Lippen. »Wer?« fragte er, und der Laut entrang sich kratzend seiner Kehle.
    Da lächelte der andere. »An Namen liegt dir? So ist es recht. Es ist Galadan, der gekommen ist, und ich fürchte, dies ist das Ende.«
    Gefesselt und gänzlich hilflos sah Paul zu, wie die anmutige Gestalt ein Messer aus dem Gürtel löste. »Ich werde es kurz machen«, versprach er. »Bist du nicht hergekommen, um Erlösung zu finden? Ich werde sie dir schenken.« Wieder trafen sich ihre Augen. Es war ein Traum, so sehr glich es einem Traum, so düster, verschwommen, umschattet. Er schloss die Augen; es war angebracht, die Augen zu schließen, um zu träumen. Natürlich fand er dort sie vor, aber alles war nun bald vorbei, also gut, sehr gut, sollte es doch mit ihr enden.
    Ein Augenblick verstrich. Keine Klinge, kein Schnitt. Dann sprach Galadan wieder, doch nicht zu ihm und mit veränderter Stimme.
    »Du?« sagte er. »Hier? Jetzt ist mir alles klar.« Die Antwort war nichts als ein tiefes, donnergleiches Knurren. Paul erschrak und öffnete die Augen. Auf der Lichtung stand Galadan jener graue Hund gegenüber, den er auf der Palastmauer gesehen hatte.
    Indem er den Blick des Hundes erwiderte, ergriff Galadan erneut das Wort. »Vor langer Zeit schon stand geschrieben in Wind und in Feuer, dass wir einander begegnen sollen, und dieser Ort ist dafür so geeignet wie jeder andere auf sämtlichen Welten. Hast du die Absicht, über dem Opfer zu wachen? Dann ist dein Blut die Pforte, durch die meine Sehnsucht sich erfüllt. Komm nur, ich will es gleich trinken!«
    Er legte sich eine Hand aufs Herz und vollführte mit der anderen eine verschlungene Bewegung, und im Anschluss an ein kurzes Verschwimmen des Raums erhob sich einen Augenblick später, wo er gewesen war, ein Wolf, so groß, dass er die graue Gestalt des Hundes zwergenhaft klein erscheinen ließ. Und der Wolf hatte einen Flecken Silber zwischen seinen Ohren.
    Scheinbar endlos lange standen sich die beiden Tiere gegenüber, und Paul bemerkte, dass es im Götterwald tödlich still geworden war. Dann heulte Galadan auf, dass es einen bis ins Herz, gefror, und sprang seinen Gegner an.
    Da fand ein Kampf statt, den in den frühesten Tiefen der Zeit schon die Zwillingsgöttinnen des Krieges vorhergesagt hatten, welche in sämtlichen Welten die Namen Macha und Nemain tragen. Ein böses Vorzeichen sollte es sein, die Ankündigung des größten Krieges unter allen Kriegen, jenes Zusammentreffen in der Dunkelheit zwischen dem Wolf, der in Wirklichkeit ein Mann war, dessen treibende Kraft die Zerstörung war, und dem grauen Hund, der schon viele Namen getragen hatte, jedoch immer der Gefährte gewesen war.
    Die Auseinandersetzung hatten die beiden Göttinnen vorausgesagt – denn Krieg war ihr Element –, doch nicht ihr Ergebnis. So war es ein Vorzeichen geblieben, eine Warnung, ein Anfang.
    Und schließlich kam es dazu, dass Wolf und Hund in Fionavar aufeinander trafen, der ersten unter allen Welten, und dort unter dem Sommerbaum zerfleischten sie sich mit solchem Ungestüm, dass bald darauf dunkles Blut die Lichtung unter den Sternen tränkte.
    Immer wieder warfen sie sich aufeinander, schwarz und grau, und Paul

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