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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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meine, und meine Trauer schickt sich an, die Fäden meiner Seele zu zerreißen. Zwanzig von meinen Männern sind gefallen, und mein Herz sagt mir, dass es nicht die letzten waren. Wir sind die Kinder des Lichts, und die Finsternis erhebt sich. Ich muss nach Daniloth zurück. Doch«, und nun erklang seine Stimme mit neuer Kraft, »einen Eid will ich jetzt vor dir ablegen. Sie hat sich in meiner Obhut befunden. Ich werde sie finden oder sie rächen, oder bei dem Versuch das Leben lassen.« Und Brendel ließ seinen Schwur ertönen, dass der Große Saal davon widerhallte: »Wir werden sie bekämpfen, wie wir es schon einmal getan haben! Wie wir es immer getan haben!«
    Diese Worte dröhnten zwischen ihnen wie die Glocke, die von trotzigem Widerstand kündete, und entzündeten in Kevin Laine ein Feuer, von dem er nicht gewusst hatte, dass es in ihm wohnte.
    »Nicht allein!« rief er, die eigene Stimme erhoben, um sie tragend zu machen. »Wenn du meine Trauer teilst, werde ich die deine teilen. Und das werden, glaube ich, hier noch andere tun.«
    »Jawohl!« brüllte Matt Sören neben ihm.
    »Wir alle!« ergänzte Diarmuid, Thronfolger von Brennin. »Werden in Brennin die Lios abgeschlachtet, zieht das Großkönigtum in den Krieg!«
    Bei seinen Worten erhob sich mächtiges Geschrei. Es baute sich auf, getragen von einer Woge der Empörung, und stieg hinauf bis an die höchsten Delevansfenster und dröhnte durch den Saal.
    Es übertönte beinahe völlig die verzweifelten Worte des Großkönigs.
    »O Mörnir«, flüsterte Ailell und verschränkte die Hände in seinem Schoß. »Was habe ich getan? Wo ist Loren? Was habe ich getan?«
    *
    Hell war es gewesen, und nun war es nicht mehr hell. Auf diese Weise wurde die Zeit gemessen. In der Lücke zwischen den Baumkronen waren Sterne zu sehen; noch kein Mond, und später nur eine dünne Mondsichel, denn morgen war die Nacht des neuen Mondes.
    Seine letzte Nacht, falls er diese überleben würde.
    Der Baum war inzwischen ein Teil von ihm geworden, ein zweiter Name, eine Beschwörung. Er konnte im Atem des Waldes ringsum beinahe schon eine Bedeutung ausmachen, doch sein Bewusstsein war gedehnt und flach, er war nicht fähig, danach zu greifen, er konnte nur dulden und die Mauern der Erinnerung, so gut es ihm gelingen mochte, aufrechterhalten.
    Noch eine Nacht. Danach würde es keine Musik mehr geben, der er sich öffnen konnte, keine Straßen, die er vergessen musste, kein Regen, keine Sirenen, nichts, auch keine Rache!. Höchstens noch eine Nacht, denn er war sich nicht sicher, ob er noch einen Tag wie den vorhergegangenen überleben würde.
    Auch wenn er sich gewiss Mühe gäbe: um des alten Königs willen, des hingerichteten Bauern und der Gesichter, die er auf den Straßen gesehen hatte. Besser war es, einen Grund zum Sterben zu haben, mitzunehmen, was man von seinem Stolz zurückbehalten hatte. Bestimmt war es besser so, auch wenn er nicht recht wusste, warum.
    Nun weihe ich dich Mörnir, hatte Ailell gesagt. Und das hatte zu bedeuten, dass er ein Geschenk war, ein Opfer, und dieses Opfer würde vertan sein, wenn er zu bald starb. Daher musste er am Leben festhalten, die Mauern aufrechterhalten, um des Gottes willen durchhalten, denn er war dazu bestimmt, dass der Gott Anspruch auf ihn erhob, und nun war ein Donnern zu vernehmen. Hin und wieder schien es aus dem Innern des Baumes zu kommen, und das hieß unter den gegebenen Umständen aus ihm selbst. Er wünschte sich, es möge regnen, bevor er sterben musste, dann würde er am Ende doch eine Art Frieden finden. Schließlich hatte es geregnet, als sie starb, da hatte es die ganze Nacht geregnet.
    Nun taten ihm die Augen weh. Er schloss sie, doch das war auch keine Lösung, denn sie wartete dort, mit ihrer Musik. Vor einiger Zeit hatte er einmal den Wunsch verspürt, im Wald ihren Namen zu rufen, wie er es an ihrem offenen Grab nicht getan hatte, ihn noch einmal auf seinen Lippen zu spüren, wie er ihn seit damals nicht mehr gespürt hatte; seine ausgedörrte Seele an ihr zu entzünden. Sie zu verbrennen, denn weinen konnte er nicht.
    Natürlich musste er Schweigen bewahren. So etwas gehörte sich nicht. Es gehörte sich, stattdessen die Augen aufzuhalten am Sommerbaum tief im Mörnirwald, und da erblickte er einen Mann, der zwischen den Bäumen näher kam.
    Es war sehr dunkel, er konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte, doch das schwache Licht der Sterne wurde von silbernem Haar zurückgeworfen, und deshalb dachte er

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