Silberschwester - 14
Wahl«, flüsterte er. »Du weißt, ein toter Zauberbürtiger besitzt
keine Macht mehr, da er keinen fleischlichen Leib zur Kanalisierung seiner
Zauberkräfte mehr hat. Und eine lebende Zauberbürtige, die ja noch längst nicht
so viele Jahre gelebt hat wie ihr Meister, soll sich doch nicht einbilden, sie
könnte diese Kreatur bezwingen und besiegen.«
»Und warum
nicht?«, fragte Ginny. »Ich kenne doch diese alten Geschichten ebenso gut wie
du. Der Schwarze Jäger erträgt das Tageslicht so wenig wie dein Weißes
Zauberfeuer. Also muss er jedes Werk, das er beginnt, vor Tagesanbruch
vollenden, soll der Pakt nicht hinfällig werden. Und wie alle Unseligen hat
auch er eine Abneigung gegen kaltes Eisen und kalten Stahl.«
»Du hast doch
kein Schwert!«
»Aber ein
Hufeisen über der Tür, eiserne Angeln und Riegel an den Fenstern. An denen kann
er nicht vorbei!«
»Er wird sich
ja davon nicht die Seele eines Zauberbürtigen vorenthalten lassen«, sagte
Manus. »Du tust klug daran, mir nicht zu folgen!« Damit strebte er zur Tür.
Doch da setzte Ginny rasch den Moorterrier ab, reckte sich, streckte beide
Hände aus und zischte in Zaubersprache: »Bei meinem Willen, ich binde dich an
diesen Ort!«
Manus stieß
einen Wutschrei aus, fuhr, mit erhobenen Fäusten und flammendem Blick, herum
und heulte: »Ist dir auch klar, was du da getan hat?«
Distel rettete
sich unter den Sessel, als Manus’ Geist jetzt in heller Wut auf Ginny
losstürzte. Sie aber wich nicht, nein, er konnte ihr nichts anhaben und konnte
ja auch, bei ihrem starken Willen, nicht in sie eindringen, um sie sich gefügig
zu machen. Tote Zauberbürtige hatten vielleicht keine Macht mehr, konnten aber
aus einem willfährigen Wirt heraus weiter zaubern. Aber die Möglichkeit würde
sie ihm nicht geben … mochte sie ihm auch noch so viel verdanken.
»Mein Bann
hält dich in diesem Haus fest«, rief sie und kreuzte die Arme über der Brust.
»Es macht mir keine Freude … aber du wirst diesen Ort erst verlassen, wenn ich
es dir erlaube. Was bedeutet, dass der Schwarze Jäger jetzt mit mir verhandeln
muss, wenn er deine Seele haben will!«
»Warum?«,
hielt er dagegen. »Warum dein Leben so aufs Spiel setzen?«
Ginny zögerte
mit einer Antwort – war es nicht, in der Tat, töricht von ihr? »Weil du mich
nicht abgewiesen hast, da ich Hilfe brauchte …«, erwiderte sie endlich. »Ja, du
hast mich bei dir aufgenommen, mir ein Zuhause gegeben. Dafür bin ich dir
dankbar, auch wenn ich es immer wieder bereute, mich an dich gebunden zu haben,
vor allem, als ich merkte, dass du ja kein Haus anständig führen kannst.«
Da verging ihm
seine Wut so jäh, wie sie gekommen war. Die hellen Flammen in seinen Augen
erloschen, und er wandte sich ab und sagte: »Du kannst den Schwarzen Jäger doch
auf keinen Fall besiegen!«
»Oh, das weiß
man erst, wenn man es versucht hat«, erwiderte sie.
»Aber was
könntest du ihm denn für meine Seele anbieten?«
»Lass das nur
meine Sorge sein …«, sagte sie, fasste Distel, der sich wieder aus seinem
Versteck hervorgewagt hatte und zu ihr gekrochen kam und vorsichtig mit dem
Schwanz wedelte, kurz ins Auge und beugte sich zu ihm, rieb ihm beruhigend den
Kopf und schloss lächelnd: »Ich denke, ich habe da eine Idee!«
Die nächsten
Stunden nutzte sie dazu, ihre Schutzzauber mit der Hitze des Weißen
Zauberfeuers und der Kälte des kalten Eisens zu stärken. Manus sah ihr vom
Kamin aus zu und lobte hin und wieder, wie sehr doch ihr Können in den zwei
Jahren gewachsen war. »Deine alten Bücher haben mir viel geholfen«, erwiderte
sie. »Und auch, dass ich mich besser konzentrieren konnte, weil du nicht mehr
wie so eine Glucke um mich herum warst.«
Da machte er
ein Gesicht, als er das hörte …
So rückte die
Mitternachtsstunde näher und näher. Ginny fühlte sie schon, brachte sie doch
einen dicken Dunst alter Magien mit sich, die all ihre Zaubersinne vibrieren
ließen. Und je näher sie nun rückte, desto mehr spürte sie Schwaden dunkler
Mächte über dem Moor wachsen und wallen. Mächte so schrecklich, dass sie sich
eines Schauders tiefsten Bangens nicht erwehren konnte … Was, wenn sie nun dem Schwarzen
Jäger nicht wehren konnte?
Höre,
Arianrhod, Herrin des Silberrades, betete sie, lass mir den Mut nicht wanken!
Und darauf holte sie tief Luft, um das Flattern in ihrem Bauch zu unterdrücken,
durchquerte jäh die Stube und riss die Haustür auf.
Finster war es
jetzt, der Mond ganz von einer dunklen Wolke
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