Silberstern Sternentänzers Sohn 02 - Gefährliche Traeume
links neben ihr hörte sie ein seltsames Geräusch. Als ob ein großer kantiger Felsbrocken durchs Gebüsch fiel, um sich anschließend auf sie und Silberstern zu stürzen. Sie meinte auch einen Schatten zu erkennen. Silberstern erschrak ebenfalls. Er scheute und brach kurz nach rechts aus. Annit schaffte es gerade noch, ihn zu bändigen, bevor er sich auf die Hinterhufe stellen konnte.
Sie versuchte, das Geräusch zu lokalisieren und durchdrang das dichte Gestrüpp mit Adleraugen. Was kommt da auf mich zu?, überlegte Annit.
Schließlich entdeckte sie es: Etwas kam den Hang herabgeschossen, huschte im Zickzack durch die Bäume und um die Büsche herum. Erst im letzten Augenblick, bevor das rasende Subjekt in einem tiefen Graben neben dem Weg zu landen drohte, erkannte Annit, um was und wen es sich handelte.
Es war ein Junge auf einem Mountainbike. Annit blieb der Mund offen stehen. Sie hatte Mühe, Silberstern zu beruhigen.
Der Junge hopste in einem wilden Satz über den Graben hinweg. Dann schwenkte er sein Rad zwei, drei Mal durch die Luft und kam mit einem abrupten Ruck direkt neben Annit zum Stehen.
Wie bei einem Rodeo in einem alten Cowboyfilm, schoss es Annit durch den Kopf.
Der Junge trug ziemlich weite und abgerissene Klamotten, hatte kurze blonde Haare und braune lachende Augen. Er war kaum größer als sie selbst.
„Mannitol“, rief Annit entgeistert. „Bist du verrückt? Willst du uns umbringen?“
Annit hatte den Jungen vor einigen Monaten kennengelernt, nachdem er zuvor lange um den Zirkus herumgeschlichen war. Zeitweilig hatte sie ihn sogar verdächtigt, sich in böser Absicht an die Pferde heranzumachen, da sie nach einem seiner Besuche sehr nervös gewesen waren. Sogar die Vorstellung abends im Zirkus hatten sie abbrechen müssen, da die Tiere nicht mehr zu bändigen waren. Annits Verdacht hatte sich Gott sei Dank als unberechtigt herausgestellt. Seither waren sie und Mannito Freunde.
„Na, da staunt ihr, was?“ Mannito grinste breit und schob die schwarze Baseballkappe nach hinten, die er seit Neuestem trug.
„Wo hast du überhaupt dieses Rad her?“ Annit war vom Pferd gestiegen, das sofort den Kopf senkte und zu grasen begann.
„Na, von deinem Freund. Ich komm jetzt nicht auf seinen Namen“, meinte Mannito mit einem schiefen Lächeln. „Aber du weißt schon, der Bauer, dem das Anwesen hinter dem Zirkusgelände gehört. Er meint, du hättest noch was gut bei ihm, und daher will er dir dieses Fahrrad schenken. Nun, ich hab gedacht, ich bring es gleich her.“
„Du meinst Janusch Nowak“, murmelte Annit. Als die Zirkustruppe nach Warschau gekommen war und ihr Quartier auf der Wiese am Stadtrand aufgeschlagen hatte, hatte sich der Bauer anfangs ziemlich mies ihnen gegenüber verhalten. Er hatte alle Leute vom Zirkus einfach als „Gesindel“ bezeichnet. Erst als Annit ihm eines Tages geholfen hatte, ein Kälbchen zur Welt zu bringen, hatte er seine Meinung geändert. Er musste einsehen, dass er Annit und den anderen Unrecht getan hatte. So wurden sie am Ende Freunde.
Was dieses Geschenk - dieses Fahrrad - jedoch betraf, kam Annit zu einem endgültigen Schluss. Ich will das Bike nicht haben, auch wenn Janusch Nowak es mir schenken will, entschied sie. „Das kann ich doch unmöglich mitnehmen“, murmelte sie bei dem Gedanken vor sich hin, ohne es zu merken.
„Was hast du gesagt?“, fragte Mannito.
„Ach nichts!“ Annit hatte plötzlich das Bedürfnis, das Thema zu wechseln. „Wie hast du uns eigentlich gefunden?“, erkundigte sie sich, während sie Silberstern beobachtete. Der Hengst war inzwischen die paar Meter zum Bach hinuntergestiegen, um von dem Wasser zu trinken.
Mannito grinste. „Ich wollte dich treffen. Da hab ich einfach ein paar Leute befragt. Und die hatten zufällig mitgekriegt, wie du vorbeigeritten bist.“
Annit zog eine Augenbraue hoch und blickte Mannito fragend an. „Und was gibt’s so Dringendes, worüber du mit mir sprechen willst?“
Mannito umkreiste Annit zweimal mit dem Rad. Die Baseballkappe saß mit dem Schirm nach hinten auf seinem Kopf. Dann stieg er ab. „Komm, lass uns ein Stück weit zu Fuß gehen. Jeder schiebt sein Gefährt neben sich her. Ich mein Rad und du deinen süßen Ackergaul.“
Als ob er es gehört hätte, preschte Silberstern mit wenigen Sätzen die Böschung hinauf und auf den Jungen zu, der sofort Deckung hinter seinem Fahrrad suchte.
„Süßer
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