Silberstern Sternentaenzers Sohn 05 - Die alte Prophezeiung
weißes Stück Stoff in die Hand. „Schützt deinen Kopf gegen Hitze“, erklärte sie.
Annit schmunzelte, schwenkte das Tuch wie eine Fahne und machte dann einen eher hilflosen Versuch, es sich um den Kopf zu wickeln. Alisha beobachtete sie und prustete los. Dann nahm sie Annit das Tuch wieder aus der Hand und drapierte es mit ein paar schnellen Handgriffen um Annits Kopf. „Gut“, sagte sie am Ende zufrieden mit ihrem Werk. „Jetzt können wir weitermachen.“ Sie holte einen Eimer, hechtete den mageren Ziegen hinterher, bis sie schließlich eine zu fassen bekam. Band sie am Zaun fest, kniete sich neben sie und begann, sie zu melken. Auffordernd nickte sie Annit zu. „Du auch!“
Ähmmm! Okay. „Na ja, ich hab noch nie in meinem Leben eine Ziege gemolken“, wandte Annit ein. „Aber eigentlich kann das ja auch nicht viel schwieriger sein, als eine Kuh zu melken! Und wie das geht, hat mir mein Vater auf dem Bauernhof gezeigt, auf dem ich aufgewachsen bin.“
Mit einer energischen Handbewegung forderte Alisha Annit erneut auf, ihr zu helfen.
Entschlossen näherte sich Annit der Ziege und sank neben Alisha auf die Knie. Die rückte sogleich ein Stück zur Seite, und Annit fasste nach einer Zitze und zog daran. Und es dauerte auch nicht lange, bis Milch in den Eimer floss. „Na also, geht doch“, murmelte sie stolz.
„Gut“, lobte Alisha und lächelte. Sie hatte wunderschöne weiße Zähne und eine ebenmäßig olivfarbene Haut.
Alisha ist nicht viel älter als ich und muss schon so viel arbeiten, überlegte Annit, während sie das Euter der Ziege bearbeitete. Sie wollte die junge Frau gerade befragen, als diese sie heftig in die Seite knuffte.
„Was ist denn?“, wunderte sich Annit.
Mit dem Kopf deutete Alisha zum Eingang des Ziegengeheges. Dort stand der Stammesfürst. Groß, erhaben, mit vor der Brust verschränkten Armen. Er nickte Annit nur kurz zu und verschwand daraufhin so leise wieder, wie er aufgetaucht war.
Auch ohne Worte verstand Annit, dass sie ihm folgen sollte. Sie wischte sich, so gut es ging, ihre Hände an ihrer Jeans ab und eilte dem stattlichen Beduinen nach. Selbst von hinten hatte er noch etwas Besonderes und wirkte überaus beeindruckend. Er ging nicht einfach, er schritt voran. Stolz und würdevoll, mit hoch erhobenem Kopf. An dem Zelt, in dem Annit geschlafen hatte, schritt er vorbei und betrat dann ein anderes, weitaus größeres Zelt.
Auch das war unterteilt, und der vordere Bereich hatte eine Feuerstelle. Auf dem Boden lagen handgewebte, farbenprächtige Teppiche und viele bunte Sitzkissen. An den Wänden hingen gekreuzte Schwerter und mit Goldfäden durchzogene Tücher. In einer Ecke stand eine schöne, geschnitzte Holztruhe, in einer anderen Ecke sogar ein Fernseher. Nicht das neueste Modell, aber immerhin.
Der Stammesfürst ließ sich auf einem Sitzkissen nieder und bedeutete Annit, ebenfalls Platz zu nehmen. Eine Weile musterte er sie schweigend.
Annit räusperte sich. „Geht das in Ordnung?“, fragte sie dann beherzt. „Ich meine, das mit dem Rennen, dürfen wir mitmachen?“
Der durchdringende Blick des Stammesfürsten brachte Annits Bauch zum Grummeln.
„Dein Pferd ist sehr schön“, begann er dann.
„Ja“, bestätigte Annit etwas nervös. Ich weiß, aber was heißt das? Was genau wollen Sie mir damit sagen?, dachte sie und wünschte, er würde endlich weitersprechen.
„Woher hast du dieses Pferd?“, fragte er dann in einem leichten Plauderton.
Was soll diese Frage? Und was soll ich darauf antworten?, überlegte Annit. „Gekauft“, stieß sie schließlich hervor.
„Von wem?“, hakte das Oberhaupt der Beduinen nach. „Ich hab vor langer Zeit auch mal Pferde mit einem solchen Stern besessen“, fuhr er dann unverblümt fort - ohne Umschweife und noch bevor Annit antworten konnte.
Annit war so überrascht, dass sie sich verschluckte und einen Hustenanfall bekam.
„Ich habe dieses Abzeichen sofort wiedererkannt. Der kleine Keilstern ist genau identisch." Seine Stimme klang ruhig und beherrscht.
Und jetzt? Annit überlegte fieberhaft. Was soll ich denn jetzt nur tun? Alles zugeben. Die Wahrheit eingestehen? Ihm sagen, warum wir wirklich hier sind? Ihm alles über Falak, Mallorca und Carolin erzählen? Nein, niemals, vielleicht will er dann Silberstern für sich? Was heißt, vielleicht, bestimmt will er Silberstern für sich, wer würde nicht ein magisches Pferd besitzen wollen?
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