Silberstern Sternentaenzers Sohn 05 - Die alte Prophezeiung
Pfefferminztee. Annit nahm ein Glas und trank durstig. Inzwischen hatte sie sich an den Tee gewöhnt. Doch es gab Momente, da hätte sie alles gegeben für eine eisgekühlte Cola. Sie stellte das leere Glas zurück auf das Tablett. Dann stemmte sie die Arme in die Hüften und begutachtete das Werk. Die kleinen Fenster des Hauses hatten inzwischen neue Fensterläden. Die kleine überdachte Veranda war renoviert und sah jetzt richtig einladend aus. Und auch das Mauerwerk, das schon abgebröckelt war, war neu verputzt. „Sieht doch schon viel besser aus“, stellte sie fest.
Elena legte den Arm um ihre Tochter und zog sie an sich. „Dich hat uns wahrlich der Himmel geschickt, mein Kind. Ich werde ihm ewig für diese zweite Chance dankbar sein“, sagte sie zärtlich und drückte Annit einen sanften Kuss auf die Stirn. Annit genoss die Liebkosung ihrer Mutter. „Du bringst uns Glück, mein Kind."
„Und ich versöhn euch wieder mit euren Familien“, ergänzte Annit fröhlich. Elena schwieg und schnaufte nur tief. Von Anfang an hatte sie Annits Vorhaben für ziemlich aussichtslos gehalten.
Nach einem langen, harten Arbeitstag versammelten sich am Abend alle im Wohnzimmer, das zugleich als Esszimmer diente. Annit und Mannito ließen sich auf die dunkelrote, schon etwas abgesessene Plüschcouch plumpsen. Achmed nahm auf einem dunkelroten Sitzkissen auf dem Boden Platz und richtete seine Wasserpfeife.
Elena kam herein und stellte eine Schale selbst eingelegter Oliven auf den einfachen Holztisch. Mannito war der Erste, der zugriff. Er liebte Elenas Oliven.
„Habt ihr denn nun schon was von ihnen gehört?“, fragte Annit.
Achmed wusste sofort, von wem sie sprach. Zuerst war er völlig gegen ihre Briefaktion gewesen. Er hatte sich anfangs sogar geweigert, sich mit auf das Foto zu stellen, das Annit gemacht und dem Brief beigelegt hatte. Doch schließlich hatte er nachgegeben, wenngleich er genauso wenig wie Elena von der Aktion überzeugt war. Achmed schüttelte den Kopf.
Mannito blickte auf das Familienfoto, das mit durchsichtigem Klebestreifen an der Wand zwischen Ikonen, Webteppichen und Bildern befestigt war. „Dabei sind wir sechs doch eine so tolle Mannschaft“, erklärte er.
Das Foto zeigte Elena mit farbenprächtigem Kopftuch und schöner Bluse, Achmed im traditionellen türkischen Festtagsgewand und auch Annit und Mannito hatten sich schick gemacht. Hinter ihnen standen ihre Pferde Silberstern und Ranja.
„Langsam könnten die sich wirklich mal melden“, bestätigte Annit. In einer langen Nacht auf dem Dach hatte sie die Briefe an ihre Großeltern geschrieben. Einen an Elenas Familie und einen an Achmeds Familie. Darin hatte sie ihnen mitgeteilt, dass sie eine Enkelin hatten, die in Deutschland bei Adoptiveltern aufgewachsen war. Und sie hatte um Aussöhnung und ein Treffen gebeten, damit sie sich kennenlernten.
„Vielleicht stimmte ja die Adresse nicht mehr“, überlegte Mannito.
Elena stellte einen Korb mit herrlich duftendem, frisch gebackenem Brot auf den Tisch. „Nein, nein, ich weiß von Angeliki, dass sie richtig ist.“ Angeliki war Elenas Schwester und Äbtissin in einem Kloster in Griechenland. Dieses Kloster war eine der Stationen auf Annits weiter Reise gewesen. Über die Äbtissin hatte Annit überhaupt erst erfahren, wo ihre leiblichen Eltern lebten.
„Weiß sie denn auch, ob der Brief angekommen ist?“, wollte Annit wissen. Angeliki hatte im Gegensatz zu Elena noch Kontakt zu ihrer Familie.
„Sie schweigt.“ Elena ging zurück in die Küche.
„Eine kaputte Vase kann man nicht mit Spucke reparieren", murmelte Achmed hinter seiner Wasserpfeife.
„Achmed hat Recht“, seufzte Elena, als sie mit einer Schüssel mit Bohnensalat und einer Kanne Pfefferminztee zurückkam und beides auf dem Tisch platzierte. „Mach dir besser nicht zu viele Hoffnungen, Annit. Es ist in der Vergangenheit zu viel geschehen. Es gibt Dinge, die kann man weder vergessen noch verzeihen - egal, wie viel Zeit vergangen ist. Es gibt Wunden, die heilen nie.“ Sie lächelte. „Und es gibt Dinge, die du nicht verstehen kannst.“
„Pah!“, machte Annit unwillig. „Die Zeiten ändern sich, ihr werdet schon sehen.“
Elena winkte alle an den Tisch. Dann schob sie Annit den Salat aus weißen Bohnen vor die Nase. „Iss, Tochter!“
„Ich wette, die melden sich, und ich wette, die wollen mich kennenlernen“, plauderte Annit weiter. Sie nahm ihre
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