Silberstern Sternentaenzers Sohn 05 - Die alte Prophezeiung
unwillkürlich zusammen. Doch der Stammesfürst ließ sich Zeit. Welche Geschichte will er mir erzählen? Was kann er wissen?, überlegte Annit ungeduldig, während sie mit dem Tee ihre Lippen benetzte. Ob diese Geschichte etwas mit Silbersterns Geheimnis zu tun hat? Und was ist in diesem Kästchen drin?
Wenn man auf etwas wartet, zieht sich die Zeit endlos lange hin. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte der Stammesfürst endlich auf. Er nickte Annit zur Begrüßung kurz zu und setzte sich. Dann schob er eine Hand unter sein weißes Gewand und zog einen kleinen silbernen Schlüssel hervor. Offenbar trug er den immer bei sich.
Annit sah ihm gebannt zu, wie er behutsam das Kästchen öffnete und ein altes, zusammengerolltes Pergament hervorzog. So vorsichtig, als könne es leicht kaputtgehen, rollte er es auf.
„Was ist das? Und was steht da drauf?“ , fragte Annit atemlos.
Der Stammesfürst begann vorzulesen: „In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren. Naytukskie Kukatos, was in der Indianersprache „Der Stern“ bedeutet, ist schön wie der junge Morgen, stark wie ein Bär, schnell wie der Wind und schlau wie ein Fuchs. Er soll über eine außergewöhn liche Gabe verfügen. Er kann in die Zukunft blicken. Schnell spricht sich die Kunde herum, und jeder ist bestrebt, dieses wunderschöne Pferd zu besitzen. Doch Unzählige sind an ihm gescheitert. Denn seine magischen Kräfte kann nur derjenige nutzen, der sein Vertrauen gewinnt.“ Der Beduine machte eine Pause und griff nach seiner Wasserpfeife.
Wahnsinn! Annit schluckte. Das ist der absolute Wahnsinn! Es ist haargenau derselbe Text, den Caro auf einem vergilbten Zettel notiert hat und den sie mir mal vorgelesen hat. Diesen Text hat sie entdeckt, als sie auf der Suche nach Sternentänzers Geheimnis war. Das ist die Indianerlegende. Indianerlegende? Das kann aber doch gar nicht sein! Annit stutzte. Irritiert sah sie den Stammesfürsten an. „Aber ... das ist doch nicht möglich. Die Indianer hatten doch keine Araberpferde“, murmelte sie. „Das passt doch alles gar nicht zusammen.“
„Es geht noch weiter“, unterbrach sie der Stammesfürst. „Es steht noch mehr geschrieben.“
„Noch mehr?“ Annit machte große Augen. Sie wusste, dass auf Carolins Zettel, den sie in dem silbernen Bilderrahmen hinter Sternentänzers Bild aufbewahrte, nur diese Zeilen standen. Und kein einziges Wort mehr.
„Dieses wunderschöne Pferd wird in die Welt ziehen und sich mehren. Es wird viele seiner Art geben, in allen erdenklichen Rassen, schön wie der junge Morgen, stark wie ein Bär, schnell wie der Wind und schlau wie ein Fuchs - und mit einer außer gewöhnlichen Gabe gesegnet. Doch es ist auch allerhöchste Vorsicht geboten. Die Macht der magischen Pferde wird Gutes bewirken, wenn ihre Besitzer reinen Herzens sind. Wer Gutes im Sinne hat, dem wird auch Gutes widerfahren. Wessen Herz aber böse ist, dem kann das Gute zum Bösen werden. Die Macht der magischen Pferde wird sich dann sehr rasch zum Bösen wenden." Der Stammesfürst machte eine kleine Pause und rollte dann das alte Pergament ebenso behutsam wieder zusammen, wie er es aufgerollt hatte. Vorsichtig steckte er es zurück in das silberne Kästchen, verschloss es und klatschte nach Barissa.
Annit schloss die Augen und konzentrierte sich. Im Geiste wiederholte sie die letzten Sätze. Wieder und wieder. Um sie für immer in ihr Gedächtnis zu brennen. Um Carolin davon zu erzählen. Dann starrte sie den Stammesfürsten an, als wäre er gerade einem Ufo entstiegen. „Wo haben Sie das her?“, stieß sie immer noch völlig fassungslos hervor.
Der alte Beduine sog wieder ganz gemächlich an seiner Wasserpfeife. „Vor langer, sehr langer Zeit kam ein Pferdezüchter hierher in die Wüste zu unserem Stamm. Er hatte ein wunderschönes Pferd dabei und dieses Pergament. Er war sehr schwach und völlig ausgedörrt nach einem langen Ritt durch die Wüste. Er wurde schwer krank. Meine Vorfahren haben ihn aufgenommen und gesund gepflegt. Zum Dank hat er ihnen das Pferd und dieses Per gament geschenkt. Beides wurde in meiner Familie immer weitergereicht, von Mann zu Mann, bis zum heutigen Tage.“
Annit schluckte. Ihr war merkwürdig
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