Silbertod
äußerst schlechtem Zustand und verursachten ihm zeitweise große Schmerzen. Doch ein Lächeln kam Deodonatus ohnehin kaum je in den Sinn.
Schon als Baby war er keine Schönheit gewesen, was im Grunde genommen nicht ungewöhnlich war. Doch er sah sohässlich aus, dass selbst seine eigene Mutter ihn als Beleidigung für die Augen empfand. Als er größer wurde, starrten ihn die Leute an und wechselten die Straßenseite, um ihm aus dem Weg zu gehen. Er merkte schnell, dass die Welt da draußen erbarmungslos war, und so blieb er im Haus und schloss sich in seinem Zimmer ein. Er hatte einen wachen Verstand, brachte sich selbst Lesen und Schreiben bei und befasste sich mit allen wissenswerten Dingen, die zu seiner Zeit als wichtig galten.
Was seine Eltern anging, so hatte Deodonatus sie einst geliebt, doch bald verachtete er sie. Es war ihnen immer schwergefallen, ihn auch nur anzusehen, seiner Mutter ganz besonders, und bei seiner zunehmenden Bildung hatten sie ihm bald nichts mehr zu sagen. Kurz nach seinem zehnten Geburtstag beschlossen sie, dass sie ihre elterliche Verantwortung nun erfüllt hätten – unter den gegebenen Umständen sogar in bewundernswerter Weise, wie sie fanden. Eines Tages verkauften sie ihn an einen Schausteller.
Die nächsten Jahre verbrachte Deodonatus damit, von Stadt zu Stadt zu ziehen und sich unter dem Fantasienamen »Mr Scheusal« zu zeigen. Seine Nummer bestand darin, mit steinernem Gesichtsausdruck auf einem dreibeinigen Hocker in einer kleinen Nische zu sitzen und sich anstarren zu lassen. Wie gern die Leute glotzten! Hin und wieder musste er sich auch die Demütigung gefallen lassen, angestupst zu werden. Erst dann reagierte er mit einem bösen Knurren, sodass die Frauen kreischten und die Männer Dinge sagten wie: »Donnerwetter, was für ein reizbares Monster!«
Und während Deodonatus so dasaß und beobachtete, wie die Leute ihn anstarrten und voll Entsetzen die Hände vor die Münder schlugen, dachte er über die Natur der Menschheit nach. Dabei kam er zu dem Schluss, dass die gesamte menschliche Rasse unausstehlich sei und jedes Unglück verdient habe, egal ob es nun durch Zufall oder mit Absicht über sie käme. Das war ein wichtiger Unterschied. Seitdem trug sich Deodonatus mit Rachegedanken. Nicht Rache an bestimmten Personen – das würde später kommen –, obwohl ihm seine Eltern das eine oder andere Mal als würdige Kandidaten in den Sinn gekommen sein dürften. Deodonatus verstand sich auf wirtschaftliche Zusammenhänge und befürwortete das Konzept von Angebot und Nachfrage. Jeder musste seinen Lebensunterhalt verdienen, und der Eigentümer der Wanderausstellung gab den Besuchern nur, wonach sie verlangten. Wenn jemandem eine Schuld zuzuweisen war, dann der Allgemeinheit, den Menschen also, die zum Glotzen kamen.
Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr trat Deodonatus als Mr Scheusal auf. Dann ließ er sich einen dichten Bart wachsen und machte sich eines Nachts davon. Aber nicht, ohne vorher den Schaubudenbesitzer zu fesseln und ihm sein Geld abzunehmen. Auf diese Weise finanziell ausgestattet, brach er nach Urbs Umida auf, einer für ihre Hässlichkeit berüchtigten Stadt. Dort hoffte er, in der Masse untertauchen und ein einigermaßen friedliches Leben führen zu können.
Es heißt, die Schönheit liege im Auge des Betrachters, doch die Erfahrung hatte Deodonatus anderes gelehrt. Er musste erkennen, dass er sich am besten überhaupt nichtsehen ließe, wenn er auch nur ein bisschen vom Leben haben wollte. Es heißt auch, man dürfe ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen. Schließlich ist es eine Binsenweisheit, dass es allein auf den Inhalt zwischen den beiden Buchdeckeln ankommt. Blickte man jedoch hinter Deodonatus Snoads abstoßende Erscheinung und schlug sein persönliches Lebensbuch auf, so war in seinem Fall der Inhalt noch weit scheußlicher als das Äußere. Geprägt von den Erfahrungen seiner Jugend war Deodonatus zu einem verbitterten, irregeleiteten Mann geworden, äußerlich wie innerlich kaum mehr zu retten.
Als Deodonatus zum ersten Mal durch das Tor ging und die Südstadt von Urbs Umida betrat, war ihm, als käme er nach Hause. Er sah sich um und lächelte. So eine hässliche, verlotterte Stadt, so viel Betrug und Heuchelei! Er quartierte sich im schmutzigsten Viertel ein und hatte sich bald eingewöhnt. In den Sommermonaten genoss er den beißenden Gestank des Foedus und im Winter grinste er höhnisch über die armen Teufel, die
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