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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F E Higgins
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und jedes Mal sah er, dass sie ihn anstarrte. Während sie ihm vorgestellt worden war, hatte sie ein wenig gelächelt, aber das war auch alles. Als sie dann einmal doch wegsah, betrachtete er sie genauer. Sie hatte schwarzes Haar, das in Locken vom Scheitel bis über die Schultern fiel. Ihre Augen waren wie tiefes dunkles Wasser und ihre Haut war so weiß, dass Pinüberzeugt war, er könnte, wenn sie einen Schluck Wein tränke, die rote Flüssigkeit durch ihre Kehle rinnen sehen. Ihr Tischnachbar Mr Pantagus, der momentan weder Schnurrbart noch Kinnbärtchen trug, wirkte müde und schwach, doch das anregende Geplauder des Mädchens schien ihn zu beleben.
    Unweigerlich wandte sich das Gespräch auch Pin zu, und so erzählte er widerstrebend seine jammervolle Geschichte. Wie er seine Unterkunft verloren hatte (jeder am Tisch kannte Mr Gumbroots Ruf und alle nickten teilnahmsvoll), von seiner Stelle bei Mr Gaufridus (alle wollten mehr von seinen Methoden hören) und schließlich von seiner Aufgabe als Leichenwächter.
    »Und ist schon mal einer aufgewacht?«, fragte Beag. »Ich meine, wegen dieser Möglichkeit bewachst du sie ja.«
    »Diese Erfahrung konnte ich noch nicht machen«, sagte Pin vorsichtig, denn er registrierte, dass Juno ihn gespannt beobachtete.
    »Du weißt dich gepflegt auszudrücken, Junge«, sagte Mr Pantagus nachdenklich, der damit zum ersten Mal an diesem Abend sprach.
    »Das verdanke ich meiner Mutter«, sagte Pin leise. »Sie kam aus einer angesehenen Familie, aus der Familie Merdegrave. Sie hat mir viele Dinge beigebracht, Lesen und Schreiben, mit Messer und Gabel zu essen und an andere zu denken.«    
    »Und wie ist dein Familienname?«, fragte Mrs Hoadswood.
    Pin zögerte. Einfach nicht zu antworten ging nicht, das hätte einen seltsamen Eindruck gemacht. Aber er wollte auchnicht aus Mrs Hoadswoods Pension geworfen werden, bevor er nicht wenigstens die Gelegenheit zu einer Übernachtung gehabt hatte.
    »Carpue, nicht wahr?«, half Beag nach. »Das hast du auf der Brücke gesagt.«
    »Carpue?«, wiederholte Mr Pantagus und zog die Augenbrauen hoch.
    Pin saß da wie ein Häufchen Unglück. Er wusste, was als Nächstes käme. Es war Aluph, der die Frage stellte:
    »Kennst du einen Oscar Carpue, den Kerl, der …«
    »Ja. Oscar Carpue ist mein Vater, aber ich habe ihn nicht gesehen, seit …«
    Mrs Hoadswood, die Pins Unbehagen sah, unterbrach ihn. »Und was ist mit deiner Mutter?«
    »Sie ist tot. Schon seit über einem Jahr.«
    »Dann brauchst du eine Bleibe«, sagte sie energisch. »Ich habe eine kleine Dachkammer, wenn dir das genügt.«
    Pin war sprachlos vor Freude. Was für ein Glück! »Aber natürlich«, sagte er dankbar.
    »Also abgemacht«, sagte Mrs Hoadswood gut gelaunt. »Und jetzt wollen wir nicht mehr reden, nur noch essen und feiern. Beag, habt Ihr heute Abend ein Lied oder eine Geschichte für uns?«
    Beags Augen leuchteten auf. Er schob seinen Teller und seinen Krug zur Seite und sprang auf den Tisch.
    »Allerdings«, sagte er mit strahlendem Lächeln.

Kapitel 18

    Beag erzählt
    A
ls ich ein Junge war, nicht viel kleiner als jetzt, wohnte ich in einem Ort am Fuß des Teufelsrückens, einem steilen, kahlen Berg. Es war eine geschützte Stelle, hinter uns der Berg und vor uns die See. Im Sommer konnte ich frühmorgens zusehen, wie die rosigen Finger der Morgendämmerung das Wasser in ein schimmerndes Rosarot verwandelten. Im Herbst hingen die dicken Wolken so tief, dass manchmal der halbe Berg darin verschwand. Im Winter war das Salzwasser immer steingrau und der Teufelsrücken weiß von Schnee. Mit Beginn des Frühlings ließ dann das Tauwetter die Flüsse anschwellen und man konnte ringsum hören, wie das Land zu neuem Leben erwachte. Ich schwöre, mir treibt es noch jetzt die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke.
    Als ich älter wurde, aber nicht größer, kam das Gerücht auf, dass ich gar nicht der Sohn meiner Mutter sei, sondern ein Wechselbalg, ein Kind der Berggeister, das sie anstelle des gestohlenen echten Babys bei meinen Eltern gelassen hätten. Die Dorfbewohner waren beunruhigt und verlangtenden Beweis, ob ich tatsächlich ein Kind der Geister sei oder nicht.
    ›Du musst auf den Cathaoir Feasa gehen‹, sagten sie.
    Ganz oben auf dem schmalen Grat des Teufelsrückens war ein alter Baumstamm. Den Baum selbst, eine uralte Eiche, hatte schon vor vielen Jahren ein Blitz zerschmettert und übrig geblieben war nur der verkohlte Stumpf. Und das Merkwürdigste

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