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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F E Higgins
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»Nein, der ist eindeutig zu groß.«
    Als sie in die Melancholy Lane einbogen, wurde Juno immer langsamer und zupfte Pin schließlich am Ärmel.
    »Bist du sicher, dass Mr Gaufridus nicht da ist?«
    »Ganz sicher«, sagte Pin. »Der einzige Mensch, der sich heute Nacht hier aufhält, ist ein Toter!« Trotzdem spähte er zur Sicherheit durchs Fenster des Bestattungsunternehmers, bevor er mit seinem Schlüssel die Tür aufsperrte. Dann huschten sie beide hinein, vorbei an glänzend polierten Särgen und marmornen Grabsteinen, und stiegen schließlich die Treppe zum Kellerraum hinunter, wo Pin eine Lampe anzündete. Juno sah sich in der Werkstatt um, betrachtete die Geräte auf der Werkzeugbank und die halb fertigen, aufeinandergestapelten oder an die Wand gelehnten Särge. Sie ging auf die schwarze Tür der Cella Moribundi zu, öffnete sie aber nicht.
    »Wer ist da drin?«
    »Albert«, sagte Pin schlicht. »Ein ziemlich großer Kerl. Sieh mal, dort ist sein Sarg. Ich musste ihn extra passend für ihn machen.« Er zeigte auf einen Sarg, der auffallend tiefer und länger war als die übrigen und fast aufrecht an der Wand stand.
    »Komm«, sagte Pin, der endlich die Arbeit tun wollte, für die er bezahlt wurde. »Wir gehen rein.«
    Juno hielt die Kerze hoch und folgte ihm.
    »Oh, wie kalt!«, sagte sie fröstelnd.
    »Man gewöhnt sich dran.« Pin entzündete die Kerzen an den Wänden, und durch die zuckenden Schatten wirkte der kleine Raum plötzlich lebendig. Albert, ein großer, kräftiger Mann, lag auf dem Tisch aufgebahrt.
    Juno kam heran und betrachtete ihn aus der Nähe. »Wie ist er gestorben?«
    »Sein Pferd hat ihn gegen den Kopf getreten«, sagte Pin. »Aber man sieht es ihm nicht an. Mr Gaufridus hat gute Arbeit geleistet.«
    Das hatte er allerdings. Wenn man die unerträglichen Schmerzen bedenkt, die Mr Albert H. Hambley unmittelbar vor seinem Tode gequält haben mussten, sah er überraschend friedlich aus. Juno wandte ihre Aufmerksamkeit den Schränken und Schubladen zu, öffnete und schloss sie, nahm Sachen heraus und stellte Pin dabei alle möglichen Fragen. Er antwortete bereitwillig, während er hinter ihr herging und dabei alles wieder an Ort und Stelle legte.
    »Wie weit bist du übrigens mit der Lösung des Geheimnisses der Leichenmagie?«, fragte sie unvermittelt und schwang eine Eisenzange durch die Luft.
    Pin sah sie von der Seite an, während er die Einstichnadeln in der Schublade wieder nach Länge und Stärke ordnete. »Ich hab noch nicht aufgegeben, weißt du? Glaub mir, ich geh mit dir.«
    »Vielleicht liegt die Antwort ja direkt vor deiner Nase«, sagte Juno leichthin und irgendwie rätselhaft.
    Pin sah auf. »Wie meinst du das?«
    »Wirst schon sehen.«
    Sie will, dass ich ihr Geheimnis herausfinde, dachte Pin aufgeregt, doch als er nachhakte, weigerte sie sich, mehr zu verraten. Sie stöberte weiter in den Schränken, und am Ende kamen Pin Bedenken. »Ich finde, du solltest das lassen«, sagte er. »Manche von diesen Schränken sind privat. An die geh nicht mal ich dran.«
    »Na schön«, sagte Juno, »aber sieh dir mal das hier an. Es war nicht im Schrank; ich hab’s dahinter gefunden.«
    Sie hielt einen aufwendig gearbeiteten Gegenstand hoch, und Pin wurde blass und wich einen Schritt zurück.
    »Was ist das?«, fragte Juno. »Was hast du denn?«
    Pin spürte, wie sich das Herz in seinem Brustkorb verkrampfte.
    »Teufel auch!«, flüsterte er. »Das ist ein Funkenstock!«
    Sie verstummten für einen Augenblick, und gleichzeitig begriffen sie auch, was diese unbeabsichtigte Entdeckung womöglich bedeutete.
    »Oh Gott«, sagte Juno leise. »Meinst du, dass …«
    Doch bevor sie ausreden konnte, ließ sie das Geräusch von Schritten im Raum über ihnen aufblicken.
    »Mr Gaufridus«, flüsterte Pin. »Das kann nur Mr Gaufridus sein. Schnell! Wir müssen uns verstecken.«
    Hastig steckte Juno den Funkenstock wieder hinter den Schrank. Dann fasste Pin sie am Arm und zog sie in die Werkstatt. Dort drückte er sie in den nächstbesten Sarg – zufälligerweise den von Mr Albert H. Hambley – und konnte gerade noch den Deckel an seinen Platz schieben, bevor die Tür aufging.
    Von sämtlichen Särgen im Raum hatte Pin mit Sicherheit den gewählt, der sich am besten als Versteck eignete. Seine Geräumigkeit ließ es zu, dass er und Juno bequem nebeneinander Platz fanden. Der Deckel schloss fest und Pin schickte ein stilles Dankgebet zum Himmel, dass er tagsüber Zeit gefunden hatte, die Löcher

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