Silver Moon
So ungepflegt, wie er sonst herumlief, präsentierte er sich auch am heutigen Tag. Da halfen auch der schwarze Anzug und die blaue Krawatte nichts. Sein Haar war wirr und zerzaust, sein Dreitagebart wuchs in alle Himmelsrichtungen und seine Hände sahen aus, als hätten sie schon eine Woche kein Wasser mehr gesehen, von den langen Nägeln ganz zu schweigen.
Ich hielt meinen Blick gesenkt, drehte mich auch nicht nach hinten: Ich wollte gar nicht wissen, wer alles zugegen war. Aber den bissigen Blick meines Vaters, der gleich in der ersten Reihe saß, spürte ich auch so. Am liebsten wäre ich schreiend davongelaufen, aber immer wieder redete mein Herz auf meinen Verstand ein.
›Denk an deine Geschwister! Denk vor allem an Yuma, an Sakima … Er ist es, den du liebst, seinetwegen bist du jetzt hier!‹, hörte ich eine Stimme in mir flüstern.
Ich nickte mir selbst zu und stand entschlossen auf, als die Musik zu spielen begann. Mein weißes Brautkleid reichte bis auf den Boden, es war unterhalb der Brust mit einem fliederfarbenen Satinband geschnürt, das am Rücken in einer breiten Schleife endete. Die sah man aber nicht, da ich mein langes Haar offen trug. Es reichte bis über den Po. Auf eine Schleppe hatte ich verzichtet. Dafür hatte ich mir Magnolienblüten ins Haar gesteckt, die am Hinterkopf eine Blumendolde bildeten. Ihr Duft begleitete mich an diesem Tag.
Mein Kleid war aus reiner Seide gefertigt und in seiner Schlichtheit wunderschön. Es war am unteren Rand mit weißer Spitze versehen, in Ballonform gearbeitet, mit pikanten Biesen besetzt und schulterfrei – es wirkte edel, gar royal. Fast wäre alles perfekt gewesen, wenn nur der richtige Mann neben mir gestanden hätte.
Bedrückt blickte ich den Standesbeamten, Herrn Wilkens, an, der beim Verklingen der Musik zu sprechen begann.
Seine Worte nahm ich kaum wahr. Er begann mit:
»Wir haben uns heute hier versammelt, um …«
Alles, was danach folgte, verschwamm im Sog meiner Emotionen, die mich übermannten. Ich versuchte krampfhaft abzuschalten, meinen Geist auf Reisen zu schicken, weit weg von diesem Ort, der mir zuwider war, genauso zuwider wie Magnus selbst, der breit grinsend an meiner Seite stand und nervös mit dem rechten Fuß wippte. Ihm ging es offenbar nicht schnell genug. Ich wollte es auch geschwind hinter mich bringen. Vollkommen verkrampft hielt ich den pastellfarbenen Brautstrauß mit den unzähligen kleinen Blumen in den Händen und mein Blick wanderte abwechselnd vom Boden zur Decke. Ich schaute runter und hoch, runter und wieder hoch, bis Tom, der Wirt, der heute unser Trauzeuge war, näher zu uns trat. In seinen Händen hielt er ein Kissen aus weinrotem Samt. Darauf lagen die beiden goldenen Ringe. Es war so weit … Mein Gehör setzte wieder ein und ich vernahm die letzten Worte von Herrn Wilkens. »Wollen Sie, Magnus Brock, die hier anwesende Kira Bach zu Ihrer Frau nehmen, sie lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet, so antworten Sie bitte mit ›Ja, ich will!‹«
»Ja, ja!«, sagte Magnus genervt und griff nach den Ringen.
»Und wollen Sie, Kira Bach, den hier anwesenden Magnus Brock zu Ihrem Mann nehmen, ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet, so antworten Sie bitte auch mit: ›Ja, ich will!‹«
Die Worte fanden den Weg nicht so leicht über meine Lippen, wie ich gedacht hatte. Es war ein regelrechter Kampf, den ich mit mir ausfocht. Dieses kleine Wörtchen ›Ja‹ herauszupressen war unsagbar schwer und kostete mich eine große Überwindung. Ich holte tief Luft und setzte zum »J…« an, als plötzlich jemand sagte:
»Nein, will sie nicht!«
Es war laut und deutlich, und die Köpfe aller Anwesenden drehten sich nach hinten zur Tür, wo die Stimme hergekommen war. Auch ich drehte mich um und traute meinen Augen nicht! Nein, das konnte nicht wahr sein! Das war doch gar unmöglich … Yuma!
Er stand während des Tages in seiner menschlichen Gestalt am Ende des Ganges und blickte mich an.
»Sag, dass du es nicht willst, Kira! Bleib deinen wahren Gefühlen treu und höre auf dein Herz! Ich will nicht, dass du meinetwegen den größten Fehler deines Lebens begehst! Du brauchst es auch nicht wegen Sakima zu tun, denn ihn gibt es nicht mehr – aber mich gibt es! Ob bei Tag oder Nacht, ich werde jetzt immer bei dir sein! Ich liebe dich, Kira Bach, aufrichtig und ehrlich, und ich möchte, dass du jetzt mit mir nach Hause kommst!«
Mir blieb vor Verwunderung und Rührung der Mund offen stehen. Ich
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