Sind Sie hochsensibel?
Jahre bei Ihren Eltern gelebt, eine Weile für sie gearbeitet oder sind mit Freunden aus der Schule Ihrer Heimatstadt zusammengezogen. Stück für Stück ein echter Erwachsener zu werden ist eine feine Sache. Eines Tages stellen Sie plötzlich fest, dass Sie erwachsen geworden sind, ohne überhaupt bemerkt zu haben, wie Sie das gemacht haben.
Manchmal nehmen wir allerdings zu groÃe Stufen auf einmal. Für einige HSM stellt sich der Besuch einer Universität als unüberwindbare Hürde heraus. Ich habe viele HSM kennen gelernt, die nach einem Semester (oder nach ihrem ersten Besuch daheim â meistens zu Weihnachten) mit dem Studium aufgehört haben. Weder sie selbst, noch ihre Eltern oder Berater verstehen dabei das grundlegende Problem: Ãberstimulation durch ein vollkommen neuartiges Leben. Sie werden mit neuen Menschen, neuen Vorstellungen und neuen Lebensplänen konfrontiert, oft haben sie kein ruhiges Zimmer zum Schlafen, bleiben ganze Nächte lang auf, um zu reden oder eine Party zu feiern, und hinzu kommen vielleicht noch erste Experimente mit Sex, Drogen und Alkohol. Selbst wenn sich der sensible Student eher zurückziehen möchte, um auszuspannen, besteht doch auch der Wunsch, das zu tun, was die anderen tun: sich normal zu verhalten, aufzubleiben, Leute kennen zu lernen und den Erwartungen aller gerecht zuwerden. Egal, welche Probleme Sie an der Universität hatten, diese sollten neu bewertet werden, denn es ging dabei nicht um Ihr persönliches Versagen.
Es ist nicht verwunderlich, dass ein gesundes Elternhaus allen Heranwachsenden sehr hilft, auch noch dann, wenn sie das Nest verlassen haben. Der fortbestehende Einfluss des Elternhauses auf HSM ist besonders stark. Bis zum Eintritt in die Erwachsenenwelt lernt der junge HSM das meiste von seiner Familie, was er in Bezug auf sein Verhalten in der realen Welt wissen muss.
W enn sensible Jungen und Mädchen zu Männern und Frauen werden
Wenn hochsensible Jugendliche erwachsen werden, kristallisieren sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern noch deutlicher heraus. Wie bei zwei Reiserouten, bei denen zu Beginn nur winzige Richtungsunterschiede bestehen und die dann auseinander driften, bewirkt die unterschiedliche Erziehung, dass sensible Männer und Frauen an verschiedenen Zielen ankommen.
Im Allgemeinen besitzen Männer eine höhere Selbstachtung als Frauen. Wenn Eltern die Sensibilität ihres Sohnes zu schätzen wissen, wie bei Charles aus Kapitel 1, wird er als Erwachsener ein groÃes Selbstbewusstsein entwickelt haben. Ich habe aber auch sehr viele hochsensible Männer kennen gelernt, die sich selbst vollkommen ablehnten â nicht verwunderlich bei der Ablehnung, die sie durch andere erfahren hatten.
Eine Untersuchung von Männern, die seit ihrer Kindheit als schüchtern gelten (ich nehme an, die meisten von ihnen sind HSM), zeigt, dass diese durchschnittlich drei Jahre später heiraten als andere Männer, ihr erstes Kind vier Jahre später geboren wird und sie mit einer Verzögerung von drei Jahren eine feste Berufslaufbahn einschlagen, was wiederum dazu führt, dass sie ihre Karriere nicht so weit vorantreiben können wie andere. 74 Das spiegelt vielleicht das gesellschaftliche Vorurteil gegenüber Männern wider, die schüchtern oder mit einem geringenSelbstbewusstsein ausgestattet sind. Es könnte allerdings auch ein Hinweis darauf sein, dass eine gewisse Vorsicht und eine Verzögerung der Entwicklungsschritte für HSM gesund sind oder dass es auch gut ist, wenn sie andere Dinge, abgesehen von Familie und Beruf, wertschätzen, wie zum Beispiel künstlerische und spirituelle Ziele. Wie dem auch sei, wenn Sie sich beim Erklimmen dieser Stufen Zeit gelassen haben, befinden Sie sich in guter Gesellschaft.
Im Gegensatz dazu hat dieselbe Studie gezeigt, dass schüchterne Frauen die traditionellen Lebensabschnitte zeitgerecht durchlaufen. Es ist wesentlich unwahrscheinlicher, dass eine schüchterne Frau einen Beruf ausübt oder nach ihrer EheschlieÃung weiter-arbeitet. Stattdessen passt sie sich der patriarchalischen Tradition an und wechselt oft schnurstracks von ihrem Elternhaus in das ihres Mannes über, ohne dass sie je gelernt hat, selbst für ihren Unterhalt aufzukommen.
In der gymnasialen Oberstufe neigen dieselben Frauen jedoch zu âeiner stillen Unabhängigkeit, sie zeigen ein Interesse an intellektuellen Dingen,
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