Sind Sie hochsensibel?

gelöst werden muss: Man nennt es „Schüchternheit“, „soziale Zurückgezogenheit“ oder „soziale Phobie“. Und auch dieses Problem werden wir, wie einige andere Themen, die HSM bewegen, auf ganz spezielle Weise angehen.
    Noch einmal möchte ich betonen, dass ich bei der Konzentration auf ein bestimmtes Problem nicht davon ausgehe, dass HSM zwangsläufig ein kompliziertes Sozialleben führen. Aber sogar der Präsident der Vereinigten Staaten und die Königin von England müssen sich von Zeit zu Zeit darüber Gedanken machen, was andere von ihnen halten. In ähnlicher Weise werden Sie sich also auch manchmal darüber Sorgen machen; Sorgen strapazieren aber unsere Nerven und treffen damit unsere Achillesferse.
    Hinzu kommt, dass uns oft versichert wird: „Keine Sorge, niemand verurteilt dich!“ Da Sie aber sensibel sind, bemerken Sie vielleicht, dass die Leute in Wirklichkeit sehr wohl beobachten und beurteilen – normalerweise macht das jeder. Den nichtsensiblen Menschen bleibt diese Tatsache zu ihrem Glück oft verborgen. Aus diesem Grund ist Ihr Lebensweg um einiges beschwerlicher: Sie sind sich dieser Seitenblicke, dieser stillen Beurteilungen bewusst und dürfen sich von ihnen dennoch nicht zu sehr beeinflussen lassen. Das ist keine leichte Aufgabe.
    Wenn Sie sich immer für schüchtern gehalten haben
    Die meisten Menschen verwechseln Empfindsamkeit mit Schüchternheit. Deswegen hat man Ihnen auch immerzu gesagt: „Du bist zu schüchtern!“ Man bezeichnet beispielsweise auch eine Katze, einen Hund oder ein Pferd als von Geburt an scheu, wenn es in Wirklichkeit ein empfindliches Nervensystem hat (es sei denn, das Tier reagiert scheu aufgrund einer Misshandlung, dann wäre es allerdings eher als „verängstigt“ zu bezeichnen). Schüchternheit ist die Angst davor, von anderen nicht gemocht oder gar missbilligt zu werden. Der Begriff beschreibt also eher die Reaktion auf eine Situation; Schüchternheit ist ein bestimmter Gemütszustand und kein feststehender Charakterzug. Schüchternheit, selbst in chronischer Form, wird nie vererbt – Sensibilität dagegen schon. Und obwohl chronische Schüchternheit bei HSM häufiger auftritt, ist das nicht bei allen HSM zwingend der Fall. Ich habe viele HSM getroffen, die fast nie schüchtern sind.
    Wenn Sie sich oft schüchtern fühlen, gibt es eine gute Erklärung dafür (das gilt auch für Nicht-HSM). Irgendwann in Ihrer Vergangenheit haben Sie eine Situation in Gesellschaft anderer erlebt (und zwar eine Situation, die ohnehin mit Überstimulierung verbunden war), in der Sie zu der Überzeugung gekommen sind, dass Sie versagt haben. Man hat Ihnen gesagt, dass Sie etwas falsch gemacht haben, dass man Sie nicht leiden kann oder Sie konnten Ihren eigenen Erwartungen in dieserSituation nicht gerecht werden. Möglicherweise waren Sie ohnehin bereits überstrapaziert, da Sie Ihre gut entwickelte Vorstellungskraft darauf verwendet haben, sich vorzustellen, was alles schief gehen könnte.
    Im Normalfall genügt ein Misserfolg allerdings nicht, um chronisch schüchtern zu werden – obwohl das auch vorkommen kann. Normalerweise verläuft es so, dass Sie beim nächsten Mal in derselben Situation noch aufgeregter sind, weil Sie befürchten, dass sich das Gleiche wiederholen wird – je aufgeregter man ist, desto wahrscheinlicher wird jedoch auch der Misserfolg. Beim dritten Mal in einer ähnlichen Situation werden Sie allen Mut zusammennehmen, sind aber dennoch fürchterlich nervös. Infolgedessen fällt Ihnen keine passende Reaktion ein, Sie legen eine minderwertige Leistung ab, erhalten daraufhin die entsprechende Rückmeldung und so geht es dann immer weiter. Sie sehen, wie dieses Muster sich unendlich wiederholen und zu einer Abwärtsspirale entwickeln kann. Es kann sich auch auf andere Situationen ausweiten – auf Situationen, die ein wenig Ähnlichkeit besitzen, oder auf generell alle Momente, in denen Menschen anwesend sind!
    Bei HSM besteht eine größere Wahrscheinlichkeit in diesen Teufelskreis zu geraten, weil sie sowieso leichter erregbar sind. Sie sind jedoch nicht schüchtern geboren worden, sondern lediglich empfindsam.
    Sie sind nicht schüchtern!
    Es ergeben sich drei Probleme, wenn man mit der Bezeichnung „schüchtern“ umgehen will. Zum einen ist sie völlig ungenau,