Sind wir bald da
geschlafen und bin gegen Mittag am nächsten Tag sehr verdattert zu Hause angekommen.
Am Samstag habe ich mir eingebildet, Großstadtmensch im Grünen spielen zu müssen. Bin Radfahren gegangen in den Prater. An sich sehr schön. Dieser Meinung sind nur dummerweise zirka dreihunderttausend andere Wiener auch. Zumindest dann, wenn ich dort bin. Auf meinem Laptop, dem Desktop und dem iPhone habe ich übereinstimmend die gleiche Nachricht bekommen, dass nämlich im Prater ein »electronic music picknick« stattfinde. Gut, sehe ich mir das mal an. Die Adresse ist aber nicht auffindbar, nicht einmal per iPhone ist zu eruieren, auf welcher der weitläufigen Wiesen mit den dreihunderttausend anwesenden Menschen das genau sein soll. Ich fahre auf meinem Billigfahrrad ziel- und planlos die Hauptallee rauf und runter. Dann, Wall of Sound, beeindruckend fetter Sound dringt durchs Gebüsch. Wie schön, welch seltenes Tier, welch bezaubernder Vogel mag das wohl sein? Auf einer Wiese sitzen zirka hundert sehr schicke
□ Webdesigner
□ Journalisten
□ freischaffende Künstler
□ Studenten
(bitte das Passende ankreuzen), machen Picknick und hören dabei eben laute elektronische Musik. Wirkt sehr nett, und ich weiß nicht genau, warum ich mich nicht dazusetze. Ein bisschen fühle ich mich fehl am Platz, nicht schick genug, und ich kenne niemanden.
Ich frage mich aber bis heute: Warum geht man ins Grüne essen, wenn man dann einen Sound aufdreht, den man überall in der Stadt sowieso hat. In die Stille flüchten, um Lärm zu machen? Mit der Mischmaschine in den Wald zum Betonieren? Entzieht sich meinem Verständnis für Logik. Aber ich muss nicht alles verstehen und behaupte nur selten, dass ich es tue.
Sonntag ist ein großer Tag. Ist er an sich schon. Aber diesmal ist Muttertag. UND: Heute Abend wird der große Florian Silbereisen seine wunderbare Überraschungsshow der Volksmusik zum Besten geben. Ich bin schon Stunden vorher aufgeregt, nehme meinen Nachbarn mit zur seelischen Unterstützung und bibbere vor Begeisterung, als mir inmitten von neuntausend mehrheitlich älteren Herrschaften DJ Ötzi, Wencke Myhre , Patrick Lindner & Co um die Ohren sausen. Wie gesagt, ich weiß nicht mehr genau, warum ich das tue. Gefallen tut es mir nicht. Lustig finde ich es eigentlich auch nicht. Ich mache mich nicht einmal darüber lustig. Ich finde, dass es da nichts zum Sich-lustig-Machen gibt. Sich als relativ junger Alternative- Wastel hinzustellen und zu sagen: »Haha, sind die blöd, so tief und kommerziell und überhaupt«, das will ich mich selbst nie sagen hören. Das ist eine fürchterliche Art der Überheblichkeit, von der ich mich fernhalten möchte. Es ist eher eine unergründliche Neugier. Ich bin tatsächlich fasziniert von der Welt der Schlager und der Volksmusik. Ich möchte wissen, wie es funktioniert. Wie so viele Menschen über eine so lange Zeit so viel Freude haben können. Und wie man damit so verdammt viel Kohle machen kann. Die tun auch nichts anderes als die gesamte Popbranche. Nur dass sie sich nicht von internationalen Medienkonzernen und Download-Plattformen verarschen lassen. Ziehen einfach ihr Ding durch und verkaufen in Österreich, Deutschland und der Schweiz pro Künstler, der da bei Florian Silbereisen auftritt, mehr als die gesamten Radio-FM4-Top40 zusammen.
Nach gefühlten fünf Stunden ist die Show vorbei, und ich schaffe es doch tatsächlich, backstage zu kommen. Ich erheische ein Erinnerungsfoto mit Florian Silbereisen, und er schreibt Autogramme für Freunde von mir. (Für mich selbst nicht, noch nicht. Ich bin innerlich noch nicht so weit.) Heute ist Florian Silbereisen aus München zu Besuch in Wien, und morgen werde ich aus Wien in München zu Besuch sein. Was für eine Parallele! Ich bin ergriffen.
Das kann kein Zufall sein! Danke, Universum! Ich kann nicht genau deuten, was mir dieser Zufall, der sicher keiner ist, sagen will. Aber ich bin mir sehr sicher, dass es etwas zu bedeuten hat. Ich bin zufrieden und erschöpft.
Dann aber Montag. Früh raus, weil ich nach München muss. Habe dort eine Lesung im Café Gap und lese aus meinem Jahrhundert-Bestseller Ich scheiss mich an. Auf dem Weg zum Bahnhof muss ich noch zum Verlag, Bücher holen, weil ich am Freitag in Wels alle verkauft habe (an sich etwas Positives, aber es stresst mich jetzt etwas).
Ich habe vor zirka fünfzehn Jahren ein halbes Jahr in München gelebt und beim Fernsehen gearbeitet. Vor vier Jahren war ich zwei Wochen auf
Weitere Kostenlose Bücher