Toedliche Blumen
PROLOG
E r legte die Decke über ihre Schultern. Eine gelbe, recht dünne Baumwolldecke, wie man sie in Krankenhäusern benutzt. Sie registrierte die Fürsorge, erschauerte sogar ein wenig. Als hätte er wie ein Adler seine weiten Schwingen über ihr ausgebreitet.
Sie zog die Decke enger um sich und sank sachte auf den Stuhl nieder. Saß dann ganz still und versuchte, all die schrecklichen Bilder, die wie grelle Blitze in ihrem Kopf abgefeuert wurden, zu verdrängen. Unmöglich zurückzuhalten. Aber vermutlich würde es sich bald legen. In der Zwischenzeit konnte sie immerhin versuchen, in dem nicht gerade unangenehmen Genuss zu schwelgen, jemanden in der Nähe zu haben, der auf sie wartete.
Das Schlimmste war die Erinnerung an die Augen, die sie hilflos angestarrt hatten. Und der Gedanke, dass sie selbst es hätte gewesen sein können, die beinahe zu Tode misshandelt worden wäre. Wie oft hat man im Leben Glück? Neulich war sie auf dem Ringvägen fast von einem Autofahrer, der sie in der Dämmerung nicht gesehen hatte, angefahren worden, als sie von der Arbeit nach Hause radelte. Der Zwischenfall kam ihr wieder in den Sinn, obgleich er überhaupt nichts mit dem schrecklichen Ereignis zu tun hatte, das im Keller ihres Hauses geschehen war.
Sie war rein zufällig diejenige, die als Erste in den Keller gekommen war. Warum gerade sie? Vielleicht Zufall, hatte der nette Polizist gesagt. Konnte sie sich darauf verlassen?
Ihr erster Gedanke war gewesen, dass es sich um einen Verrückten handelte, woraufhin sie es natürlich mit der Angst zu tun bekam. Es liefen ja so viele Junkies und andere seltsame Existenzen herum, die sich verstecken und einem im Dunkeln auflauern konnten. Die Angst trieb sie in die Enge. Sie konnte sich nicht vom Fleck rühren.
Die verängstigten Augen auf dem Betonboden starrten sie geradewegs an. Zwinkerten nicht einmal. Sie schauderte angesichts der Erinnerung. Blutunterlaufene Augen, die sie anklagend fixierten, als wäre sie es gewesen, die hemmungslos zugeschlagen hatte. Ausgerechnet sie, die so ein Feigling war.
In schmalen Rinnsalen rann ein dreckiges Blutgemisch aus dem Hinterkopf auf den Betonboden. Der Ekel verursachte ihr Brechreiz, selbst jetzt, wo sie im Polizeipräsidium einem freundlichen und aufmerksamen Kriminalinspektor gegenübersaß. Er hatte sie angewiesen, ruhig durchzuatmen. Zu warten, bis sich das Schlimmste gelegt haben würde.
Sie und er. Ganz allein. Er hatte noch nicht begonnen, sie zu verhören. Sie würde sich erst ein wenig erholen dürfen. Bald wäre sie wohl bereit. Dann würde er ihr zuhören. Jedes Wort, das sie äußerte, war wichtig, das verstand sie, ohne dass er sie darauf hätte hinweisen müssen.
Wie alt er wohl war? Vielleicht ein paar Jahre älter als sie. Doch er war sicher verheiratet. Oder lebte mit jemandem zusammen. So war es immer. Die Besten waren zuerst weg. Nicht dass er todschick gewesen wäre, aber er war wunderbar zu ihr. Und er trug keinen Ring.
Wenn er ihr seinen Namen gesagt hätte, wäre er ihr in der Verwirrung wahrscheinlich entfallen. Alles war außerdem so schnell gegangen. Sie hatte sich ihm nahezu in die Arme geworfen, als rechnete sie instinktiv damit, dass er sie retten würde. Er war zur gleichen Zeit wie der Krankenwagen in einem Polizeifahrzeug angekommen, und plötzlich hatte es im Haus nur so von Menschen gewimmelt. Wenig später hatte er einen anderen Polizisten gebeten, sie mit auf die Wache zu nehmen. Er selbst war nachgekommen.
Ein dumpfer Kopfschmerz begann sich in ihrem Hinterkopf auszubreiten. Wahrscheinlich, weil sie sich ein wenig entspannte. Außerdem hatte sie ziemlich lange nichts gegessen, doch sie war nicht hungrig. Das rhythmische Hämmern im Kopf mischte sich unbarmherzig mit der Erinnerung an die mühsamen, röchelnden Atemzüge der Nachbarin auf dem Betonboden, ihrem Ringen nach Luft, dem Kampf gegen den Erstickungstod – oder was immer es war. Bei dem Gedanken fröstelte sie.
Nie zuvor hatte sie jemanden sterben sehen. Es war weder friedvoll noch angenehm. Eher das Gegenteil. Panik einflößend und erschreckend.
Eigentlich fror sie nicht mehr, doch sie zitterte immer noch ein wenig. Merkwürdig, wie man reagiert. Sie fühlte sich wie ein Blatt im Wind. Hatte weder ihren Körper noch ihren Willen unter Kontrolle. Irgendein ihr unbekannter Mechanismus hatte eingesetzt. Etwas, das sie nicht greifen konnte. Aber das kannte der blasse Polizist bestimmt, auch wenn er nicht viel redete. Er hatte mit
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