Sind wir bald da
Kabarett-Gastspielin München und jetzt lese ich. Ist von der Breitenwirkung eher eine Abwärtsentwicklung. Das fällt mir aber erst jetzt auf, einen Tag danach. Ich versuche, mich aus dem Gedächtnis in München zu orientieren, und scheitere grandios. Nur den Bahnhof und die Gegend um den Bahnhof kenne ich wie meine Westentasche (haha, ich habe ja nicht einmal eine Weste!). Egal, ich nehme ein Taxi und nenne die Adresse, zu der ich muss. Was mich stutzig macht: Der Taxifahrer kennt die Adresse auch nicht und muss erst nachsehen. Im Plan, nicht im iPhone .
In einer Gegend, die aussieht, als wäre sie zerbombt worden, bevor man hier ein paar gebrauchte Plattenbauten aus der UdSSR aufgestellt hat, lässt er mich aussteigen. Ich betrete ein kleines Haus, das wohl eine Radiostation ist, und sage »Grüß Gott«. Ich bin völlig verschwitzt, weil aufgeregt und gehetzt und natürlich viel zu warm angezogen. Ich Depp. Es ist Mai, und ich komme in Shirt, Hemd und Jacke daher. Plus Rucksack mit zwanzig Büchern und einem Laptop. (Ich habe auch frische Unterwäsche mit, die fällt aber nicht so ins Gewicht, da achte ich auf Qualität.) Interessanterweise sind die durchwegs jungen Radiomacher fast aufgeregter als ich. Ich weiß nicht, ob das gut ist. Wer wird uns beruhigen, wenn wir alle aufgeregt sind? Egal. Ich soll ja nur reden und muss mit niemandem schmusen. Also werden meine nassen Hände und mein verschwitztes Shirt niemanden stören. Zumindest nicht die Hörer.
Gut, wir gehen also ins Studio, ich labere wahrscheinlich viel zu schnell und undeutlich irgendwelchen Unfug ins Mikrofon und kann es mir nicht verkneifen, der ausgesprochen charmanten Moderatorin radiotechnische Tipps zu geben. Besserwisserischer Klugscheißer, der ich bin. Egal, sie scheint verzeihen zu können, und nach einer halben Stunde ist es überstanden. Am Schluss verlosen wir drei meiner Bücher. Als ich das Studio verlasse, sind zwei noch da. Entweder dieser Sender hat sehr wenige Hörer, oder er hat sehr wenige Hörer mit Telefon, oder... ja...
Macht nichts, retour ins Hotel. Dort hat es der Haustechniker mittlerweile geschafft, das Fenster zu öffnen, was ich ihm hoch anrechne. Auch ich weiß Sauerstoff zu schätzen. Was mich überrascht: Er spricht Englisch mit mir. Meine Aussprache muss wirklich sehr undeutlich sein. Daran sollte ich wirklich einmal arbeiten. Das Leben verliert doch sehr an Qualität, wenn man von den Möglichkeiten des gesprochenen Wortes nicht oder nur ungenügend Gebrauch macht.
Am Veranstaltungsort überkommt mich große Verunsicherung. Die Betreiber sind mir, was Coolness und Hipness anbelangt, weit überlegen. Außerdem sprechen sie mich immerzu auf youtube -Clips von einer Sendung an, die ich vor mittlerweile zehn Jahren im Fernsehen gemacht habe, als einer von drei Akteuren (und sicher nicht der Beste). Ich habe große Angst, ihren Ansprüchen nicht genügen zu können. Da komme ich aus dem Ausland angereist, werde dafür auch noch bezahlt, und versage dann vor versammeltem Publikum komplett. Weil ich mir kein ordentliches Programm überlegt habe, zu feige bin und nach außen ein völlig überbewertetes Bild von mir und meinen Fähigkeiten gezeichnet habe. Wie peinlich. Ich will weg!
Geht aber nicht. Auszubüchsen wäre jetzt wirklich sehr unprofessionell. Ich halte mich zwar nicht für rasend professionell, aber meine gerechte Strafe, die Demütigung vor Publikum, sollte ich wenigstens mannhaft und still ertragen. Um die Angst vor der Hinrichtung zu mindern, trinke ich reichlich Rotwein und Bier. Die Gespräche sind nur teilweise locker — ich kenne ja niemanden hier und bin schlicht und ergreifend schüchtern. Scheiße. Keine guten Voraussetzungen für jemanden, der alleine einen Saal voller Menschen unterhalten soll. Wenn keine Menschen kommen, wird es nicht unbedingt einfacher. Klassische Lose-Lose-Situation. Wenigstens bekomme ich Geld dafür. In Zeiten der Finanzkrise ein gutes Argument. Mit fadenscheinigen Ausreden versuche ich, den Veranstalter dazu zu überreden, dass er doch mit mir gemeinsam auf die Bühne kommen möge. Weil es dann »lockerer« sei, und weil er ja hier der Hausherr sei und so. Außerdem könnte er mir im Moment meines Dahinscheidens die kalte Hand halten. Selbstverständlich lehnt er ab. Gut. Vielleicht meint er das Gegenteil von dem, was er sagt. Vielleicht kommt er ja dann doch noch auf die Bühne gesprungen, wenn ich stotternd und sabbernd alleine da oben sitze und in gelangweilte,
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