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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Haipl
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zehn Tage.
    Selbstverständlich ist es völlig unmöglich, den ganzen Wahnsinn auswendig zu lernen, der darin steht. Aber wie der Vortragende im Kurs später immer wieder sagen sollte: Man kann in vier Stunden nur einen »schmalen Weg durch die gesamte Materie« vermitteln. Irgendetwas hat er da wohl verwechselt. Aber wie gesagt, wenn sich jemand mit Fischen auskennt, muss man auf anderen Gebieten großzügig Abstriche machen.

    Am Tag der Prüfung war ich naturgemäß sehr aufgeregt, also bin ich über eine Stunde vor dem veranschlagten Termin losgefahren. Das war auch keine schlechte Idee, weil mich der Berufsverkehr etwas gebremst hat und weil ich mich wie immer wohl etwas zu sehr auf mein Navigationsgerät verlassen habe. Zum einen sind die Karten, die darauf gespeichert sind, nicht mehr ganz taufrisch (so bekam ich mehrfach die Anweisung, beim Kreisverkehr die zweite Ausfahrt zu nehmen — alleine, es war kein Kreisverkehr da), zum anderen ist so ein Navigationsgerät schon recht stur. Mitten im Industriegebiet herrschte es mich an: »Ankunft !« Links Acker, rechts Bahnübergang. Ankunft? Hier? Das kann ja wohl schlecht die Bezirksbauernkammer sein. Egal, ich parke den Boliden und laufe zirka fünfhundert Meter zurück. Vielleicht habe ich ja was übersehen? Das große moderne Gebäude sieht ein wenig nach Amt aus, das könnte hinkommen. Vor dem vermeintlichen Amt stehen zwei sehr junge Soldaten, und ich erkenne messerscharf, dass es sich hierbei wohl um eine Kaserne handelt. Wie schön — deine Freunde und Helfer! Das gilt zwar eigentlich nur für die Polizei, aber irgendwie sind ja auch Bundesheersoldaten Polizisten. Zumindest für mich. Ich frage also den jungen Mann mit dem Gewehr am Schlagbaum, ob er weiß, wo hier die Bezirksbauernkammer ist. Stille. Unendliche Leere in seinem Gesicht. Gut, vielleicht weiß er wenigstens, wie diese Straße hier heißt, damit ich überprüfen kann, ob mich mein Navi völlig verarscht hat oder ob wenigstens die Straße stimmt. Er sieht mich mit einem Gesicht an, das von völliger Überforderung und unendlicher Dummheit spricht. Nichts. Nada. (War vielleicht zu viel, zu erwarten, dass jemand weiß, wie die Straße heißt, die er Stunden und Tage mit einer automatischen Waffe bewacht. Der am Schlagbaum fragt den im Wachhäuschen irgendetwas in einem mir völlig fremden Dialekt. Auch er hat keinen Schimmer, wo er gerade ist und wie er hier hergekommen ist. Alles klar. Dann bewacht mal schön weiter unser Land, damit ich ruhig schlafen kann.)
    Ich gehe also wieder zurück zum Auto und stelle fest, dass die Bezirksbauernkammer fünfzig Meter weiter in der Richtung liegt, in die ich nicht gegangen bin. Na ja, wenn es zwei Möglichkeiten gibt, warum soll man dann nicht die falsche nehmen? Ich stehe in einem Industriegebiet irgendwo in Niederösterreich, vor mir ein Bau aus den achtziger Jahren von fesselnder Hässlichkeit in Graugrün. Es ist windig, Staub wirbelt herum, ich steige durch Disteln, atme tief durch und beschließe: Ich gehe rein.
    Am Stiegenaufgang hängen Fotos von Männern, die offenbar seit den dreißiger Jahren die Chefs dieses Vereins waren. Herrliche Hitlerbärte, gut genährte rote Wangen, fesche Trachtenjanker — Bilder von schönen Menschen, keine Frage. Die Tür zum Seminarraum steht offen, drinnen sitzen ein paar Menschen, und ich stelle die anscheinend völlig vertrottelte Frage: »Ist das hier der Fischereikurs ?« Ein wunderschöner Mann antwortet: »Na, sicher«, meint aber: »Wo denn sonst, Vollkoffer, depperter! Arschloch, g’schissenes , Wienerbazi . Glaubst, du bist was Besseres, weils’d nach der Schrift redest ?« Ich sage artig danke und setze mich auf ein freies Plätzchen. Ich breite die ausgedruckten Kursunterlagen ordentlich vor mir aus und schalte mein Handy auf lautlos.
    Der harsche Fischerkönig und Menschenfreund ist der Hauptvortragende und trägt eine beige Kombination aus Polohemd und tadellos gebügelten Jeans. Die Haare sind sportlich geschnitten, aber doch nicht zu wild (damit kann man sowohl im Außendienst bestehen, als auch fischen gehen, bestimmt). Am besten gefällt mir aber die Brille, die an einem Band um seinen Hals hängt, das Band in kreischenden Neonregenbogenfarben. Beim Kauf hat er sich sicher gedacht, etwas Verrücktes würde gut zu ihm passen, weil er doch auch so ein Nonkonformist ist. Ich bin jetzt schon ein bisschen verliebt. Ich zähle durch: Wir sind dreiundzwanzig Kandidaten, ich liege im oberen

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