Sinfonie des Todes
sich ab. Der Inspektor schaute ihr nach, wie sie den Gang entlang auf die Treppe zuschritt, und folgte dann den beiden Beamten ins Zimmer.
Der Tote lag mit dem Kopf auf der dunklen Schreibtischplatte, der rechte Arm hing nach unten zum Boden, wo ein Revolver lag; der linke ruhte neben einem Stapel von Hand beschriebenem Papier. Aus der Brust des Mannes war Blut geflossen und auf den Teppich getropft. Soweit Warnstedt erkennen konnte, wies die Leiche nur ein Einschussloch auf. Er ließ sich auf die Knie nieder und begutachtete die Waffe, die der Hand des Toten entglitten zu sein schien. Es handelte sich um ein Produkt der Schmiede Rast & Gasser, acht Millimeter Kaliber.
Cyprian hob den Revolver vorsichtig auf. Er dachte mit leichter Wehmut an seinen Vorgesetzten, Oberkommissar Camillo Windt, der sich mit der Daktyloskopie befasste und den Gedanken hegte, diese schon seit längerer Zeit in England angewandte Methode auch in Wien einzuführen. Jetzt wäre Warnstedt froh gewesen, darauf zurückgreifen und die Fingerabdrücke an der Waffe, die einen Hinweis auf den Mörder geben würden, sichern zu können. An eine Selbsttötung hatte er schon in dem Moment nicht mehr geglaubt, als er ins Zimmer getreten war. Es war nur ein unbestimmtes Gefühl, doch er wusste, dass er sich auf dieses leichte Ziehen in der Herzgegend, das ihn stets auf Ungereimtheiten hinwies, verlassen konnte.
Mühsam richtete sich Cyprian wieder auf und fragte seine beiden Mitarbeiter, ob sie schon etwas Bestimmtes gefunden hätten. Theodor Kronenfeldt, der zweite Beamte, zeigte auf das Haupt des Toten. Er griff sachte darunter, hielt die Stirn der Leiche hoch und zog etwas Viereckiges hervor, das er an seinen Vorgesetzten weiterreichte. Es war ein dünnes Buch, das für Buchhaltungszwecke verwendet wurde. Warnstedt wollte eben einen Blick auf die aufgeschlagenen Seiten werfen, doch der Gerichtsmediziner, der in diesem Moment das Zimmer betrat und sich für seine Verspätung entschuldigte, hielt ihn davon ab.
Der Arzt war ein kleiner, untersetzter Mann mit halblangen grauen Haaren und Extremitäten, die ständig in Bewegung waren. »Ich wurde privatim noch von einem Patienten aufgehalten, den ich mehrere Jahre lang betreut habe und der leider heute Nacht seiner Krankheit erlegen ist«, erklärte der Doktor, schob seine Brille mit den runden Gläsern auf dem Nasenrücken nach oben und seufzte theatralisch auf. Plötzlich klatschte er kräftig in die Hände und rief: »So, auf geht’s. Kümmern wir uns um diesen hier.« Enthusiastisch begab er sich zum Toten, stellte fest, dass er wirklich nicht mehr lebte, und entnahm einer schwarzen Tasche ein Formular, welches er auszufüllen begann.
Warnstedt überließ ihn seiner Arbeit, setzte sich in den tiefen Sessel und studierte das Abrechnungsbuch. Die Zahlen sagten ihm nicht sehr viel, und so klappte er es wieder zu und legte es vorerst zur Seite. Er ließ seinen Blick aufmerksam durch das Zimmer schweifen. In einer Wohnwand stand ein altes Grammofon, doch was ihn schon beim Betreten leicht irritiert hatte, war der Umstand, dass sich in dem Schlafzimmer auch ein Schreibtisch und sonstige Arbeitsutensilien befanden. Hätte der verstorbene Fichtner nicht einen anderen Raum für seine Geschäfte benutzen können? Und schlief Frau Fichtner auch hier? Wahrscheinlich nicht. Er konnte nichts Weibliches im Raum ausmachen, keine Blumen, keine Parfumflakons, keine Röcke.
Cyprians Augen richteten sich auf das heruntergerissene Stück Tapete. Neugierig erhob er sich aus dem Sessel und schaute darunter. Linas Gesicht strahlte ihn an. Der Inspektor spürte, wie seine Knie weich wurden, und wunderte sich. Er ließ sich nur sehr selten von einer Frau beeindrucken, da er der Meinung war, dass man sich als Polizist völlig auf die Arbeit konzentrieren müsse. Weibliche Kapriolen lenken da nur ab. Doch Lina – Lina hatte etwas an sich, was er nicht beschreiben konnte, ihm aber Herzklopfen bereitete. Er zwang sich dazu, den Blick abzuwenden, und schritt langsam und konzentriert durch das Zimmer, schaute hinter die schweren Vorhänge, öffnete Schubladen und durchforstete Papierstapel. Da er nichts Auffälliges entdecken konnte, entschloss er sich dazu, mit der Witwe zu sprechen und ihr ein paar Fragen zu stellen.
Warnstedt fand Lina in der Küche. Sie saß auf der Bank an der Wand und starrte mit leerem Blick aus dem gegenüberliegenden Fenster. Erstaunt bemerkte der Inspektor, dass sie ihr Gesicht gewaschen und sich
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