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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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sie hatte. Oder der kleine Schnüffler, der
Geheimpolizist, der noch nicht trocken hinter den Ohren war? Oder der
Kapitän? Sie schüttelte den Kopf. Irgendjemand hatte
beschlossen, sie ranzukriegen, und an Bord gab es keine Geheimnisse.
Wie diskret Martin und sie ihrer Ansicht nach auch vorgegangen waren:
Irgendjemand hatte sie bemerkt.
    Das kalte, leere Gefühl in ihrem Magen verdichtete sich zu
einem Knoten der Spannung. Diese ganze Reise war dabei, sich in ein
einziges Fiasko zu verwandeln. Nach dem, was sie von Martin erfahren
hatte – einschließlich seiner Mission –, gab es keine
Möglichkeit, dass die Marine irgendwie Erfolg haben würde.
Tatsächlich würden dabei wohl alle den Tod finden. Ihre
eigene Rolle als Unterhändlerin war gegenstandslos. Man
verhandelt mit Menschen, nicht mit Geschöpfen, die menschliche
Wesen nicht anders behandeln als diese ihre Hunde und Katzen (oder
auch Maschinen, einfache Maschinen, die vorhersehbar operieren und
leicht kaputtgehen, wenn man sie untersuchen will, sich hinterher
allerdings nicht mehr zusammenfügen lassen). Weiter an Bord zu
bleiben war sinnlos, es würde ihr nicht dabei helfen, den
Auftrag für George Cho auszuführen. Und was Martin
betraf…
    Rachel wurde klar, dass sie nicht die Absicht hatte, ihn hier
zurückzulassen. Diese Einsicht ging mit einer gewissen
Erleichterung einher, denn so blieb ihr nur noch eine
Handlungsmöglichkeit. Sie beugte sich vor und sagte leise:
»Gepäck – Sesam, öffne dich! Plan Titanic. Du
hast drei Stunden und zehn Minuten. Fang an.« Jetzt musste sie
nur noch einen Plan dafür ausarbeiten, wie sie ihn aus diesem
Schauprozess herausholen und von der Messe bis zu ihrer Kabine
bringen konnte: eine andere, aber nicht unbedingt schwierigere
Aufgabe, als ihn aus dem Bau zu befreien.
    Lautlos rollte der Schrankkoffer unter ihrem Bett hervor und
klappte den Deckel auf. Eine Minute lang gab sie verschiedene Befehle
ein. Als sich ein Fach öffnete, entnahm sie ihm eine Rolle, auf
der ein flexibler Schlauch aufgewickelt war, und verband ihn mit dem
Kaltwasserhahn ihres winzigen Waschbeckens. Einen längeren und
dickeren Schlauch, der am Ende mit einer kugelförmigen Blase
versehen war, führte sie in die Toilette ein. Es war ein
endoskopisches Gerät – ähnlich dem, wie man es bei
Darmspiegelungen benutzt – und dafür geeignet, Proben aus
dem Abwassersystem des Schiffes zu entnehmen. Während der Koffer
zu summen und pulsieren begann, warf er eine klebrige weiße
Flüssigkeit aus, die ins Toilettenrohr floss. Dünne
Fäden eines Stoffes, der wie Plastik aussah, krochen nach und
nach bis zur Toilettenschüssel und dichteten den Schlauch
hermetisch ab. Der Geruch nach Verbranntem drang durch die Kabine: Es
roch nach Schießpulver, nach Sirup und ganz leicht nach
Fäkalien. Nachdem Rachel einen Statusanzeiger auf dem Koffer
konsultiert hatte, griff sie befriedigt nach ihren Handschuhen, der
Kappe und allem anderen, was sie brauchen würde. Nach einem
letzten Blick auf den Anzeiger verließ sie hastig die
Kabine.
    Die Toilette rumpelte leise und schepperte leicht, als sich die
Rohrleitungen aus Metall ausdehnten. Das Abflussrohr wurde
heiß. Aus dem überfließenden Rohr entwich zischend
Dampf, doch sofort wurde das Geräusch von einem neu gewachsenen
Spinnengewebe erstickt. An der Decke wurde ein Strahlenalarm
ausgelöst, doch Rachel hatte die Anlage sofort nach ihrer
Rückkehr in die Kabine außer Betrieb gesetzt. Der Raum
heizte sich immer weiter auf. Inzwischen blinkte auch die
Strahlungswarnung am Schrankkoffer auf, aber es war niemand da, der
es bemerken konnte. Nach und nach füllte sich das Rettungsboot
in spe, das Rachel im Diplomatengepäck mitgeführt hatte,
mit Luft.
     
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Sohn, es wird klappen.«
Sauer schlug dem Prokurator Muller auf den Rücken, worauf sich
dieser zu einem schwachen Lächeln zwang. »Das hoffe ich,
Sir. Ich habe noch nie einem Kriegsgericht beigewohnt.«
    »Also gut.« Sauer wählte seine Worte mit Bedacht.
»Betrachten Sie es einfach als lehrreiche Erfahrung. Und als
unsere beste Chance, die Hexe auf legale Weise
dranzukriegen…«
    Ehrlich gesagt fühlte sich Sauer gar nicht so zuversichtlich,
wie er nach außen hin tat. Bei diesem ganzen Manöver
überschritt er seine Befugnisse bei weitem; als
Sicherheitsoffizier des Schiffes hätte er eine solche
Verhandlung keineswegs von sich aus anordnen dürfen. Und ohne
die aktive Unterstützung durch den Kommandeur Murametz,

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