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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Hütte auf
Hühnerkrallen mit großen Schritten die Straße von
Nowyj Petrograd entlangmarschierte. Der Morgen war kühl und die
frische Luft von einem quälend vertrauten Geruch
überlagert, dem nach verbranntem Schwefel, ausgelöst durch
Schießpulver, vermischt mit etwas Würzig-Süßem.
Nach geröstetem Schweinefleisch roch es nicht: Sie hatten das
Kloster erst angezündet, nachdem sie die Mönche umgebracht
hatten, nicht vorher. »Wer hat das getan?«, fragte er
weitaus ruhiger, als er sich fühlte.
    »Du weißt schon, wer«, erwiderte die Kritikerin.
»Hier nicht verweilen. Verstehe, dass Akteure des Bringe hier mehr außer Rand und Band als in Städten.
Possenreißer und Feuergänger-Buschbabys. Sehr gefährlich.«
    »Haben sie…« Burija schluckte. Er konnte den Blick
nicht von dem Gräuel auf dem Hügel abwenden. Er war zwar
kein Freund des Klerus, aber dieses Festival von Exzessen
überstieg jedes Maß des Erträglichen. »Hat das Fringe das hier getan?«
    Siebente Schwester legte den Kopf schief und kaute mit ihren
Walrosshauern leere Luft. »Nein«, erklärte sie.
»Das ist Menschenwerk. Aber Kopfjäger haben hier Leichen
mit Samen für weiteres Leben versehen. Erwarte bald schon
Wiederauferstehung, wenn auch nicht mit allgemeiner
Zustimmung.«
    »Kopfjäger?«
    »Fringe- Leutemit Feuerwerk. Entkernen Gehirnschale,
schlachten Leiche aus, machen Upload und erstellen Karte von
Hirnkern, damit sich Hirne im Orbit Festival
anschließen.«
    Burija spähte zu der Reihe mit den Kreuzen hinüber. Eine
der Leichen hatte keine Gehirnschale mehr, und der obere Teil des
Kreuzes war verkohlt. »Mir wird schlecht…«
    Er schaffte es gerade noch rechtzeitig bis zum Rand der
Hütte. Siebente Schwester kniete sich hin, während er
kopfüber über dem Rand hing, sich auf den matschigen
Seitenstreifen der Straße erbrach und würgte, bis nichts
mehr kam.
    »Können wir weitermachen? Brauchst du Essen?«
    »Nein, etwas zu trinken. Etwas Steifes.« In einem Winkel
der Hütte stapelten sich Konserven und Flaschen zu einer
Pyramide. Siebente Schwester, die sich mit den besonderen
Redewendungen der Menschen nur flüchtig auskannte, griff nach
einer großen Konservendose mit Ananasstückchen, biss
lässig ein Loch hinein und goss den Saft in eine leere Dose, die
Burija schon den ganzen Tag als Tasse verwendet hatte. Schweigend
nahm er den Saft entgegen und füllte aus der Feldflasche, die an
seiner Hüfte baumelte, Schnaps nach.
    Als die Hütte wieder emporstieg, geriet sie leicht ins
Schlingern. Er lehnte sich gegen die Wand und kippte das Getränk
mit einem Schluck hinunter.
    »Wohin bringst du mich jetzt?«, fragte er mit bleichem
Gesicht. Dass er immer noch zitterte, lag nicht nur an der
Kälte, sondern kam tief aus seinem Innern.
    »Zur Kritik an den Tätern. Das hier ist keine
Kunst.« Während Siebente Schwester wütend zum
Hügel hinüberblickte, riss sie den Mund auf und bleckte die
Stoßzähne. »Keine Ästhetik! Keine
Plausibilität! Pas de préservatives!«
    Rubenstein glitt an der Hüttenwand hinunter und sackte, von
Verzweiflung überwältigt, gegen den Stapel mit
Vorräten. Wenn Siebente Schwester in Stabreimen zu sprechen
anhob, konnte das stundenlang so weitergehen, ohne dass ihr Gerede
irgendeinen Sinn ergab.
    »Geht es hier um jemand Bestimmtes? Oder versuchst du
einfach, mich zu Tode zu langweilen?«
    Die riesige Maulwurfsratte wirbelte herum, um ihn anzusehen,
während ihr Atem zischend durch die Zähne wich. Einen
Augenblick lang fuhr er zusammen, denn in ihren Augen sah er
tödliche Wut aufflammen. Doch bald darauf wurde das Feuer
schwächer, bis ihr Blick den üblichen Ausdruck annahm, ein
zynisches, belustigtes Funkeln. »Kritikerinnen wissen, wer das
getan hat«, krächzte sie. »Komm urteilen, komm
kritisieren.«
    Die wandelnde Hütte marschierte weiter und trug sie von der
Hinrichtungsstätte fort. Vom Vestibül aus war nicht zu
sehen, dass die Kutte eines gekreuzigten Mönches zu schwelen
begann. Als sein Schädel mit blauer Flamme und lautem Krachen
explodierte, wurde etwas von der Größe einer Faust in die
Luft geschleudert, das einen grellweißen Kondensstreifen hinter
sich herzog. Ein weiteres Mönchshirn – oder das, was einen
Tag nach der Kreuzigung noch davon übrig war, nachdem die
Kopfjäger ihre Saat dort eingepflanzt hatten – war auf dem
Weg zum Orbit, wo es auf die Datenfresser des Festivals treffen
würde.
    Den ganzen Tag lang wanderte die Hütte umher und kam dabei an
Wundern,

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