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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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den
Ersten Offizier, hätte er es auch gar nicht gewagt. Das Gesetz
besagte eindeutig, dass er nicht auf eigene Faust ein Kriegsgericht
einberufen durfte, solange sich ranghöhere Offiziere an Bord
befanden. Schon gar nicht bei einem Prozess, bei dem ein ziviler
Vertragsingenieur eines Kapitalverbrechens bezichtigt wurde. Was er besaß, war die Befugnis, Subversion mit allen
nötigen Mitteln zu unterbinden – und sei es ein
Täuschungsmanöver, sofern genehmigt –, samt einem
Ersten Offizier, der willens war, seine Unterschrift auf eine
gepunktete Linie zu setzen. Ganz zu schweigen von der in der Marine
verbreiteten Begeisterung dafür, den Agenten des Kurators als
das Arschloch bloßzustellen, das er tatsächlich war.
    Ihre Zeit war knapp. Seitdem das Kampfgeschwader am Rande des
inneren Systems vom Sprung aufgetaucht war, hatten sie sich bei
konstanten zehn g und völliger Funkstille vorwärts
bewegt. Die Warp-Eigenschaften ihrer Antriebssingularitäten
hatten die heftige Beschleunigung kompensiert. (Ohne diesen Ausgleich
hätten die zehn g dazu geführt, einem auf dem Boden
hingestreckten Menschen das Lebenslicht auszublasen. Bei dieser
Beschleunigung wären die Knochen zersplittert und die
Lungenflügel eingedrückt worden.) Offenbar war irgendein
Navigationsfehler aufgetreten, ein wirklich schlimmer, denn er hatte
bei der Admiralität tagelang einen Sturm erbitterter Wut
ausgelöst. Allerdings, und das war die Hauptsache, hatte dieser
Fehler sie nicht dem Feind ausgeliefert.
    Vor einigen Tagen hatte das Geschwader sozusagen Kopf gestanden,
denn es wurde ein Bremsmanöver durchexerziert, das später,
bei der Annäherung an Rochards Welt, die Geschwindigkeit auf
hundert Sekundenkilometer drosseln sollte. In den frühen
Morgenstunden hatten sie die geplante Einsatzgeschwindigkeit
erreicht. Während der letzten dreißig Lichtsekunden
würden sie sich treiben lassen und erst innerhalb der
unmittelbaren Reichweite des feindlichen Radars wieder beschleunigen
(und damit auch sichtbarer werden). Im Augenblick waren sie noch etwa
zwei Millionen Kilometer vom Zielpunkt entfernt. Irgendwann gegen
Mitternacht (nach Bordzeit) würden sie mit der
größten Annäherung an den Planeten beginnen, volle
Kraft voraus legen und die feindlichen Schiffe angreifen – falls
die überhaupt willens waren, sich dem Kampf zu stellen. (Falls
nicht, hieß das, dass die Feiglinge die Kontrolle der niedrigen
Orbitalzone der Neuen Republik überließen. Was
gleichbedeutend damit war, dass sie auch ihre Bodenstreitmacht
preisgaben.)
    Jedenfalls musste jede Aktion gegen die Inspektorin der Vereinten
Nationen vor dem Abend abgeschlossen sein, denn dann würde das
Schiff Gefechtsposition einnehmen. Vorausgesetzt, dass das Geschwader
nicht schon früher auf irgendetwas stieß.
    Nach Ansicht von Sauer war es nahezu ein Wunder, dass sich Ilja
damit einverstanden erklärt hatte, bei diesem
Täuschungsmanöver mitzuspielen. Er hätte es leicht
auffliegen lassen oder Kapitän Mirsky melden können, was
auf dasselbe hinausgelaufen wäre. So kurz vor einem wichtigen
Einsatz hätte schon das Ansinnen, ihn und einige weitere
Offiziere vorübergehend abzuziehen, den Kapitän
dermaßen frappiert, dass er Lunte gerochen hätte.
    Sauer trat zu dem Tisch im vorderen Teil des Raums und nahm daran
Platz. Eigentlich handelte es sich um den Esstisch der Offiziere,
aber aus Anlass der Gerichtsverhandlung war er mit einem weißen
Tischtuch überzogen und mit dicken ledergebundenen Wälzern
beschwert, in denen die kompletten Kriegsstatuten des Reiches
aufgeführt waren. Zwei weitere Offiziere folgten ihm: Dr. Hertz,
der Bordarzt, und Korvettenkapitän Vulpis von der Abteilung
Relativität. Beide wirkten so ernst wie ihrer Aufgabe
angemessen. Sauer räusperte sich: »Das Gericht beginnt mit
der Verhandlung. Bringen Sie den Angeklagten herein.«
    Als sich die andere Tür öffnete, marschierten zwei
Rekruten hinein, die Martin Springfield eskortierten. Da seine
Fußknöchel gefesselt waren und er Handschellen trug,
bewegte er sich recht langsam. Hinter ihm schlug eine Tür zu.
»Ah, ähm, ja. Bitte nennen Sie dem Gericht Ihren
Namen.«
    Martin, der bleich, aber gesammelt wirkte, blickte sich um.
»Wie bitte?«, fragte er.
    »Bitte nennen Sie Ihren Namen.«
    »Martin Springfield.«
    Als Leutnant Sauer sich etwas auf seinem Schreibblock notieren
wollte, stellte er verärgert fest, dass sein Füller leer
war. Egal: Das hier war keine Angelegenheit, die nach

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