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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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bohren müssen, um
seinen früheren Kollegen dazu zu bewegen, das Upgrade zu
akzeptieren. Doch schließlich hatte Rubenstein keine
Alternative mehr gesehen. Angesichts der Tatsache, dass er derzeit
nichts anderes tat, als durch die Gegend zu streifen, würde das
Zentralkomitee ihn demnächst aufs Abstellgleis verfrachten, wenn
er nicht bald Verbindung aufnahm. Und deshalb plagten ihn auch
seltsame Visionen, die sich mit heftigem Juckreiz im Kopf paarten.
Die »Würmer« des Ausschusses für Staatliche
Kommunikation waren nämlich gerade dabei, eine produktive
Beziehung zu seinem Hirn herzustellen.
    Wenn Burija schlief, durchzogen Rasterbilder in künstlichen
Farben seine Träume, Bilder, die die Kameras auf den
Dächern der Hauptstadt eingefangen hatten. Die Revolution, stets
auf der Hut, verlangte vieles gleichzeitig von seinem stets mit ihr
verbundenen Körper, weckte schlummernde Synapsen, damit sie
verdächtige Verhaltensmuster erkannten. Burija fand es
einerseits verwirrend, andererseits aber auch merkwürdig
beruhigend zu sehen, dass die Stadt trotz aller durch die Revolution
bewirkter Veränderungen weiterexistierte. Hier eilte ein
Jugendlicher von einem dunklen Winkel zum nächsten, offenbar
hatte er eine mitternächtliche Verabredung mit seiner Liebsten.
Dort braute sich etwas eher Düsteres zusammen: Mit Mordlust im
Blick war ein Blockwart einem unliebsamen Hauseigentümer auf den
Fersen – Hunde, die sich um die Vorherrschaft im Revier balgten,
die ohnehin nicht von Bestand sein würde. Wie in Zeitlupe
entstanden Häuser und fielen wieder auseinander, riesige,
nirgendwo verankerte Ungetüme, die durch ihre inneren Organe,
die nach Symbiose verlangten, hierhin und dorthin getrieben wurden.
Das alles war ihm so fremd, dass er kaum Worte dafür fand. Es
schien ihm, als wäre die einst vertraute Stadt weder tot noch
lebendig, ein schauriger Ort, der ihn an das Leben erinnerte, das er
jahrelang als Scheintoter geführt hatte, der sich nicht hatte
rühren können. Selbst das grelle Licht einer
nächtlichen Raumfähre, die auf der Rollbahn am Stadtrand
landete, trug nichts dazu bei, das alte städtische Leben wieder
auferstehen zu lassen.
    Burija träumte auch von seiner Familie: von seiner Ehefrau,
die er seit vierzehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, und von seinem
damals fünfjährigen Sohn. Es war so viel Zeit vergangen,
dass er sich an dessen pausbäckiges Gesicht kaum noch erinnern
konnte. Zwar bedeutete inneres Exil nicht unbedingt die Trennung von
der eigenen Familie, aber seine Frau, die aus gutbürgerlichen
Verhältnissen stammte, hatte sich nach seiner Verurteilung von
ihm losgesagt, und man hatte ihr die Scheidung zugestanden.
Gefühle von Ohnmacht, Schwäche und Einsamkeit bestimmten
diese Träume – Empfindungen, die er sich im Wachzustand
verbot. Letztendlich hatte die revolutionäre Junta den Gang der
Dinge kaum beeinflusst. Sie war lediglich der harte Kern gewesen, um
den sich die kühneren Zeitgenossen hatten scharen können,
ein Brennglas, mit dem man die allgemeine Empörung gezielt auf
die Überreste des Ancien Régime hatte lenken
können. Doch an und für sich hatte die Junta nur wenig
erreicht. Die Menschen, die plötzlich mit unermesslichem
Reichtum und Wissen bedacht wurden, begriffen schnell, dass sie
eigentlich gar keine Regierung brauchten. Und das galt sowohl
für die Untergrundkämpfer als auch für die Arbeiter
und Bauern, die sie mobilisieren wollten. Vielleicht war das die
Botschaft, die ihm die Kritikerin seit seiner Entführung aus dem
revolutionären Hauptquartier einzubläuen versucht hatte:
Die Revolution, für die er gekämpft hatte, brauchte ihn gar
nicht.
    Am zweiten Morgen der Suche nach Felix erwachte Burija
erschöpft, mit wunden, schmerzenden Gliedern und halb erfrorenen
Füßen in einem Winkel der wandelnden Hütte. Siebente
Schwester schnüffelte und wuselte derweil irgendwo im Unterholz
neben dem Weg herum. Helle Jurten aus Kunststoff säumten die
Lichtung, in der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Ringsum trotzte
eine Baumgruppe den riesigen bunten Schelfschwämmen, die sie zu
überwuchern drohten. Überall wuchsen gigantische Farne und
von roten Adern durchzogene Cycadophicae – Siedler von
anderen Sternen, welche die unsichtbaren Gärtner des Festivals
hier angepflanzt hatten. Kleine Geschöpfe, die Mäusen
ähnelten, pflegten die Farne, brachten ihnen Stückchen
verfaulender Stoffe und steckten sie ihnen in die Saugmünder,
die wie bei Sonnentaupflanzen aus

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