Singularität
müssten bald in der Hauptstadt ankommen.« Bewusst
vermied er es, das Schicksal der übrigen Flotte oder die
Gesamtlage zu erwähnen, nach der es kaum so aussah, als ob sie
die Hauptstadt der Kolonie je erreichen würden.
»…uut.« Das Gesicht des Admirals entspannte sich,
und er schloss die Augen. »…amprey… ich zeig’s
denen.« Von der Anstrengung zu sprechen offensichtlich
erschöpft, sackte er im Rollstuhl zusammen.
Robard richtete sich auf und suchte den Blick des Leutnants.
»Er gibt niemals auf«, erklärte er gelassen.
»Selbst wenn es ratsam wäre. Das wird irgendwann sein Tod
sein…«
Während ihn eine Hütte auf Hühnerkrallen durch eine
Einöde beförderte, die jüngst – und ohne jedes
Zwischenstadium – den Übergang vom bukolischen Feudalismus
zum transzendenten Post-Humanismus erlebt hatte, träumte Burija
Rubenstein von zerbröckelnden Machtgefügen.
In ideologischer Hinsicht waren die Revolutionäre
Anhänger einer Transzendenz, die sie selbst nie ganz verstanden
hatten – bis sich ihnen eben diese Transzendenz auf einen Schlag
und in reinster Form offenbart hatte. Und dennoch war die
Transzendenz nicht recht zu fassen, sie war wie ein aus seltsamen
Informationen bestehender Eisberg, der durch die Oberfläche
eines erstarrten Meeres der Entropie bricht. Darauf waren die
Revolutionäre nicht vorbereitet gewesen, niemand hatte sie
vorgewarnt. An wem oder was sollten sie sich orientieren? Sie
verfügten lediglich über vage, in der Tradition ihres
Volkes verankerte Erinnerungen, Erinnerungen an das Internet und an
Füllhörner, die alles Mögliche produzieren konnten.
Ihre Vorstellungen vom Wert der Technologie grenzten an den
Cargo-Kult. [xxx] Doch an handgreiflichen Erfahrungen mangelte es, sodass ihnen jedes
Verständnis für die Formen fehlte, die diese neuen
Phänomene annahmen. Dennoch bewirkten sie durch ihre
Wünsche, dass sich innerhalb des Gestaltungsspielraums,
über den das Festival mit seiner Maschinerie verfügte, neue
Mutationen herausbildeten.
Man stelle sich vor, ohne Errungenschaften wie Telefon, Fax,
Videokonferenzen, Online-Übersetzungen, Einsicht in die
Körpersprache oder Lichtschalter aufzuwachsen. Die
Überlieferung besagte, dass es möglich sei, Nachrichten
blitzschnell um den ganzen Globus zu versenden und dass die Mittel
dazu E-Mails genannt würden. Zwar behauptete die
Überlieferung keineswegs, dass eine E-Mail aus einem Mund
bestünde, der sich aus dem erstbesten Objekt herausbildete und
dann mit den Lippen eines Freundes spräche, aber diese
Vorstellung lag den Revolutionären allemal näher als der
Gedanke an Textverarbeitungsprogramme und ein weltweites Datennetz.
Seinerseits hatte das Festival keine Erfahrung mit post-terranen
menschlichen Gesellschaften und konnte daher nur zu erraten
versuchen, welche Wunder von ihm verlangt wurden. Und oft tippte es
völlig daneben.
Burija jedoch kannte sich mit Kommunikationsmitteln hervorragend
aus. Wenn sein Großvater ihn auf den Knien gewiegt hatte, hatte
er die Legenden weitergegeben, die sein eigener Großvater ihm
erzählt hatte. Manche handelten von
Management-Informationssystemen, die dem Führungspersonal alles
mitteilen konnten, was es über die Welt da draußen zu
wissen gab, und noch mehr. Es gab auch Legenden über die
genialen Geistesgaben der Spezies Mensch, die nach Belieben jede
benötigte Fähigkeit hervorbringen konnte.
Einige der schlaueren Dissidenten in Nowyj Petrograd hatten etwas
zusammengeschustert, das sie ihrerseits ein
Management-Informationssystem nannten: Kameras mit geschützten
Riesenobjektiven, die an Mansarden und auf den Dächern der Stadt
angebracht waren, Bilder einfingen und sie ins digitale Nervensystem
der Revolution einspeisten.
Ehe Burija Plotsk verlassen hatte, war er eine Zeit lang mit Oleg
Timoschewski zusammen gewesen. Oleg hatte Burijas
Größenwahn empfindliche Schläge versetzt, indem er
ihn daran erinnert hatte, dass er nur ein höherer Kader
innerhalb des Sowjets von Nowyj Petrograd war. Dieser Sowjet, hatte
Oleg betont, sei aber selbst lediglich ein Parasit, der vom freien
Markt profitiere – eine ausgleichende Instanz, die man
abschaffen werde, sobald sich alles erst einmal wunderbar eingespielt
habe. Oleg hatte ihn auch mit den »Würmern«
ausgestattet, die fürchterlich juckten (und gelegentlich
brannten), als sie Kontakt mit Burijas Nervensystem aufnahmen. Er
hatte gezielt nach der Quelle von Burijas merkwürdiger
bourgeoiser Selbstüberschätzung
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