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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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[xix] Untergrund von Dissidenten, harte Männer wie Burija Rubenstein
– waren darauf vorbereitet, das Heft des Handelns selbst in die
Hand zu nehmen und dem plötzlich weggeschmolzenen Muster einer
Gesellschaft, die zu nahe an die Lötlampe des Fortschritts
geraten war, ihren eigenen Stempel aufzudrücken.
    Aber der Wandel und seine Lenkung hatten einen Preis, den
Rubenstein zunehmend als zu hoch empfand. Nicht, dass er irgendwelche
Alternativen gesehen hätte, aber die Menschen waren daran
gewöhnt, wie eine Schafherde von Vater Kirche gelenkt zu werden,
und hatten sich im Übrigen der wohlmeinenden Diktatur des
»Kleinen Vaters«, des Herzogs Politowski, gefügt. Die
Gewohnheiten Dutzender von Generationen konnte man nicht über
Nacht durchbrechen, und beim Hobeln würden erst einmal viele
Späne fliegen.
    Burija hatte einen fatalen Fehler: Er war kein gewalttätiger
Mensch. Die Umstände, die ihn dazu zwangen, Haftbefehle und
Anweisungen zur computergenerierten Gehirnwäsche zu
unterzeichnen, waren ihm zutiefst verhasst. Die Revolution, die er
sich schon so lange ausgemalt hatte, war eine prächtige Sache
und nicht von brutaler Gewalt getrübt, während ihn die
Wirklichkeit mit ihren widerspenstigen, kaisertreuen Lehrern und
dickköpfigen Priestern schwer enttäuschte. Je mehr er
gezwungen wurde, die eigenen Ideale zu verraten, desto
größer wurde seine innere Qual. Und je mehr sie ihn
plagte, desto größer wurde sein Hass auf die Leute, die
ihn zu derart hässlichen, grässlichen, extremen Handlungen
zwangen – bis er sich vorstellte, wie sie ihrerseits von der
Revolutionsmaschinerie zermahlen wurden. Sie lieferten ihm auch die
Rechtfertigung für die einschneidenden Maßnahmen, die
seinem Gewissen zu schaffen machten und ihn nachts lange wach
hielten, wenn er die nächste Welle von Säuberungsaktionen
und zwangsweise vorgenommenen Gehirnwäschen plante.
    Er war völlig in seine Arbeit vertieft und nahm von der
Außenwelt nichts wahr, war deprimiert und wurde immer
deprimierter, während er das tat, was er stets hatte tun wollen.
Nie hatte er sich diese Arbeit dermaßen widerlich vorgestellt.
Plötzlich schreckte ihn eine Stimme hoch.
    »Burija Rubenstein?«
    »Was?!« Mit fast schlechtem Gewissen sah er auf, wie ein
kleiner Junge, den ein besonders strenger Lehrer dabei ertappt hat,
wie er in der Klasse herumkaspert.
    »Wir. Müssen. Reden.« Das Ding, das da auf dem
Stuhl gegenüber saß, sah so sehr wie aus einem Albtraum
entsprungen aus, dass er mehrmals zwinkerte, ehe er es fertig
brachte, seinen Blick darauf zu konzentrieren. Es war unbehaart,
rosafarben und von übermenschlicher Größe, hatte
stummelartige Beine, Pfoten, kleine rosafarbene Augen – und vier
riesige gelbliche Stoßzähne, die wie die
Schneidezähne einer Ratte von Elefantengröße
aussahen. Die Augen starrten ihn mit beunruhigender Intelligenz an,
während es mit einem seltsamen Beutel herumhantierte, der am
Gürtel, seinem einzigen Kleidungsstück, befestigt war.
»Rede. Mit mir.«
    Burija rückte seinen Kneifer zurecht und musterte das Wesen
mit zusammengekniffenen Augen. »Wer bist du und wie bist du hier
hereingekommen?«, fragte er. Ich habe nicht genug geschlafen,
sagte ihm ein Teil seines Verstandes leise. Ich wusste ja, dass die
Koffeintabletten irgendwann zu so was führen
würden…
    »Ich bin. Schwester der Kriegslisten. Die Siebente. Vom Stamm
der Kritiker. Und jetzt rede mit mir.«
    Über Rubensteins zerklüftetes Gesicht huschte ein
Ausdruck außerordentlicher Verwirrung. »Hab ich dich nicht
letzte Woche hinrichten lassen?«
    »Das bezweifle ich. Doch sehr.« Burija dampfte
heißer Atem ins Gesicht, der nach Kohl, Fäulnis und Erde
stank.
    »O gut.« Er lehnte sich benommen zurück. »Der
Gedanke, verrückt zu werden, wäre mir auch höchst
zuwider. Wie hast du dich an meinen Wachen vorbeischleichen
können?«
    Das Wesen auf dem Stuhl starrte ihn an. Es war ein
zermürbendes Gefühl, so als würde man von einer
menschenfressenden Wurst mit Säbelzähnen taxiert, die
für die Henkerschlinge Maß nahm. »Deine Wachen sind.
Nicht mit bewusster Intelligenz begabt. Können nicht mit Vorsatz
handeln. Rechtzeitig musst du Lektion lernen. Darfst den
nicht-intelligenten Wachen nicht zutrauen, Bedrohung zu erkennen. Ich
habe mein Selbst unbedrohlich gemacht, sodass sie in ihrem… Ihr
habt kein Wort dafür.«
    »Verstehe.« Burija rieb sich gedankenverloren die
Stirn.
    »Tust du nicht.« Siebente Schwester grinste Rubenstein
so

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