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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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damit gemeint? Bei der Erkenntnis, dass keine
Vergeltungsmaßnahmen gegen die Neue Republik selbst geplant
waren, fiel ihm ein großer Stein vom Herzen. Denn so sehr er
ihre gesellschaftlichen Gepflogenheiten auch ablehnen oder verachten
mochte: Die Menschen hatten es nicht verdient, wegen der
Unfähigkeit ihrer Führer, mit einem beispiellosen Problem
fertig zu werden, bestraft zu werden.
    Die letzte Fußnote aber konnte er nicht deuten, so sehr er
sich auch bemühte:
     
3. Selbstverständlich würden nur wenige
Menschen die Verletzung des Kausalitätsgesetzes in
Erwägung ziehen, wenn sie nicht mit einer äußerst
schwer wiegenden, offensichtlichen Bedrohung konfrontiert
wären. Man fragt sich, was die unsichtbaren Helfer des
Eschaton tun würden, wenn sie sich angesichts einer solchen
Bedrohung mit der Notwendigkeit auseinander setzen müssten,
eine Kausalitätsverletzung zu verhindern. Vor eine solche
Entscheidung gestellt, könnten sie sich dabei ertappen, dass
sie in ihrer Loyalität gespalten wären: Einerseits
müssen sie das vorrangige Gesetz des anthropischen Kosmos
verteidigen, andererseits möchten sie ihre fehlgeleiteten,
dennoch menschlichen Gefährten nicht den Klauen des
großen Übels überlassen. Ich bin sicher, dass das
Eschaton seinen Agenten unter diesen Umständen auftragen
würde, sich unmittelbar nach Verhinderung eines Risses in der
Raumzeit um die Interessen ihrer Mitmenschen zu kümmern. Das
Eschaton mag kein mitleidender Gott sein, aber es ist pragmatisch
eingestellt und erwartet von seinen Werkzeugen nicht, dass sie in
Ausübung ihrer Dienste innerlich zerbrechen. Allerdings
besteht die Kernfrage darin, welche Seite die am »wenigsten
falsche« ist. Das führt uns tief in ein ethisches
Dilemma, in dem ein Festival der Vieldeutigkeit gefeiert wird und
die Ambivalenz regiert. Wir können nur hoffen, dass die
heimlichen Helfer die richtige Wahl treffen – andernfalls
wird die Kritik schwer wiegende Folgen zeitigen.
     
    Martin lehnte sich zurück und kratzte sich am Kopf.
»Was, zum Teufel, soll das jetzt bedeuten?«, murmelte er
vor sich hin.

 
ein
semiotischer krieg
     
     
    Der Admiral hatte einen schlechten Tag.
    »Verdammt noch mal, lassen Sie die Finger von mir!«,
ranzte er seinen Offiziersburschen mit krächzender Stimme an.
Robard achtete nicht darauf und fuhr fort, ihn anzuheben. Kurtzs
zerbrechlicher Körper war gar nicht in der Lage, Widerstand zu
leisten, als er den alten Mann aufsetzte und die Kissen in seinem
Rücken aufschüttelte. »Ich werde Sie abholen und
erschießen lassen!«
    »Gewiss, Sir. Vor oder nach dem
Frühstück?«
    Der Admiral knurrte aus der Tiefe seiner Kehle heraus und
schnappte gleich darauf gurgelnd nach Luft. »Mir geht’s
nicht gut. Nicht so wie früher. Verdammt, ich hasse
das!«
    »Sie werden alt, Sir. So geht es uns allen.«
    »Nicht diesem ver-verfluchten Attaché von der Erde,
verdammt noch mal. Der wird nicht alt. Erinnere mich noch an die
Begegnung mit ihm in Lamprey. Hat jede Menge Daguerrotypien von mir
gemacht, wie ich vor einem Berg von Schädeln stehe, den wir auf
einem öffentlichen Platz in Neu-Bokhara aufgeschichtet hatten.
Hatte was mit der Rebellion der Gefangenen zu tun. Schließlich
war kein Jesus da, der dafür gesorgt hätte, dass sich die
Brotlaibe des Proviantmeisters auf wundersame Weise vermehrten.
Sagte, er würde mich hängen lassen, der Mistkerl,
hat’s aber nie gepackt. Schräger Vogel, dieser Weichling.
Hätte schwören können, dass er regelrecht weibisch
ist. Was glauben Sie, Kurt, ist er eine Schwuchtel?«
    Robard hüstelte und stellte vor dem Admiral ein Tablett mit
einer Tasse schwachem Tee und einem Rührei auf Toast ab.
»Der Inspektor der Vereinten Nationen ist eine Dame,
Sir.«
    Verblüfft zwinkerte Kurtz mit den wässerigen Augen.
»Na, so was, du meine Güte!« Er griff nach der
Teetasse, aber seine Hand zitterte so sehr, dass er sie kaum anheben
konnte, ohne den Inhalt zu verschütten. »Ich dachte, ich
hätte es gewusst«, sagte er vorwurfsvoll.
    »Das haben Sie wohl auch, Sir. Sie werden sich besser
fühlen, wenn Sie Ihre Medizin eingenommen haben.«
    »Aber wenn er ein Mädchen ist und bei der ersten
Schlacht von Lamprey dabei war, dann heißt das doch…«
Kurtz sah verwirrt aus.
    »Glauben Sie an Engel, Robard?«, fragte er mit schwacher
Stimme.
    »Nein, Sir.«
    »Na ja, dann ist’s ja gut, also muss sie wohl ein Teufel
sein. Und mit denen kann ich umgehen, wissen Sie. Wo sind

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