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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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eine andere Sache.
Bestimmt hatte MiG die Absicht, während der gesamten Lebenszeit
dieses Schiffes Upgrades in Rechnung zu stellen. Und wahrscheinlich
hat MiG mehr Erfahrung darin, welche Anforderungen die Realität
an interstellare Kriegsausrüstungen stellt, als Ihre
Admiralität. Denn die hat, wenn ich mich nicht sehr irre, noch
nie einen regelrechten interstellaren Krieg ausgefochten, was eine
andere Sache ist, als ein paar Kanonenboote loszuschicken, um
Primitive aus der Steinzeit einzuschüchtern. Seien Sie nett zu
Springfield, dann hat er vielleicht ein paar Überraschungen
für Sie parat. Schließlich hängt sein Leben davon ab,
dass dieses Schiff richtig funktioniert.« Sie ließ seinen
Arm los.
    Mit unergründlicher Miene starrte Ilja sie an. »Ich
werd’s dem Kapitän sagen«, murmelte er und stand auf.
»In der Zwischenzeit wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich
von der Einsatzzentrale fern hielten, während ich dort den
Oberbefehl habe. Und wenn Sie Ihre Beratungen in aller
Öffentlichkeit durchführen würden und nicht
irgendeinen Offizier damit belästigen. Verstehen wir
uns?«
    Sie erwiderte seinen Blick. Wenn seine Miene unergründlich
war, dann war ihre das genaue Gegenteil. »Ich verstehe
vollkommen«, sagte sie fast lautlos, stand auf und verließ
den Raum ohne jedes weitere Wort. Leise machte sie die Tür
hinter sich zu.
    Als Ilja ihr nachsah, zitterte er. Verärgert schüttelte
er sich und griff zum Telefon. »Geben Sie mir den
Kapitän«, trug er der Vermittlung auf. »Es ist
wichtig.«
     
    Es war tatsächlich eine Zeitkapsel, von viertausend Jahren
Aufenthalt im All zerfressen und korrodiert. Und sie enthielt Post.
Vorsichtig legte die Aufklärungsdrohne an und untersuchte sie
mit Radar und Infrarotsensoren. Die Kapsel, die kalt und stumm im
Raum trieb, zeigte keine Spur von Leben, bis auf einen Rest von
Radioaktivität im Bereich des Hecks. Als kompakte
Materie/Antimaterie-Rakete hatte sie die achtzehn Lichtjahre von der
Neuen Republik aus mit Unterlichtgeschwindigkeit im Schneckentempo
zurückgelegt, danach das Tempo gedrosselt, sich in eine
Warteschleife begeben und den Betrieb eingestellt. Aufgrund der rauen
Passage durch den Raum war ihre kegelförmige Spitze zerkratzt,
eingedellt und teilweise geschmolzen. Aber dahinter wartete eine
silberne Kugel von einem Meter Durchmesser. Die Kapsel bestand aus
fünf Zentimeter dicken sinternen Industriediamanten – ein
Safe, der alles bis auf einen atomaren Angriff überstehen
konnte.
    Die Post war auf Disketten verpackt, Mikroplättchen aus
Diamant zwischen zwei reflektierenden Goldscheiben. Die Technologie
war uralt, aber unglaublich haltbar. Mithilfe externer
Waldos [xxv] schraubten Rekruten, die die Aufklärungsdrohne überwachten,
den versiegelten Deckel der Zeitkapsel auf und entfernten vorsichtig
den Diskettensatz. Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass
es sich nicht um Sprengstoff oder Antimaterie handelte, ließen
sie die Aufklärungssonde wenden und sorgten dafür, dass sie
sich auf den Rückweg zur Lord Vanek und zu den anderen
Schiffen des Ersten Flottengeschwaders machte.
    Die Entdeckung der Post – es war derart viel Text
gespeichert, dass sie mehr als nur taktisches Material über den
Feind enthalten musste – löste bei der Besatzung
hochfliegende Erwartungen aus. Inzwischen waren die Männer seit
zwei Monaten auf dem Schiff eingeschlossen. Die Möglichkeit,
dass ihre Familien und Lieben daheim ihnen womöglich Nachrichten
geschickt hatten, ließ verrückte Hoffnungen in ihnen
keimen. Bei einigen wechselte sich diese Hoffnung allerdings mit
tiefer Depression ab, sobald sie nur daran dachten, womöglich
vergessen worden zu sein.
    Rachel dagegen war weniger zuversichtlich, was die Post betraf:
Die Chancen, dass die Admiralität ihren Auftraggebern erlaubt
hatte, ihr eine mit diplomatischem Code verschlüsselte Botschaft
zukommen zu lassen, waren ihrer Einschätzung nach geringer als
Null. Auch Martin erwartete keine Post. Schon nach Neu-Prag hatte
seine Schwester ihm auf seinen Brief hin nicht geantwortet, warum
sollte sie es jetzt tun? Und von seiner Exfrau wollte er sowieso
nichts hören. In emotionaler Hinsicht stand Rachel ihm derzeit
am nächsten, wie unerwartet das auch gekommen war.
    Und so geschah es, dass Rachel und Martin, während die
Offiziere und Matrosen der Lord Vanek in ihrer Freizeit
über Briefe von zu Hause spekulierten, ihre Zeit eher damit
verbrachten, sich Sorgen über die Aufdeckung ihrer Beziehung

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