Singularität
zu
machen. Martin hatte Rachel vorsichtig darauf hingewiesen, dass er
keine Diplomatenpapiere besaß. Und selbst wenn man die Frage
der öffentlichen Moral in der Neuen Republik beiseite
ließ, konnte eine böse Situation entstehen, falls jemand
beschloss, Martin als Druckmittel gegen Rachel einzusetzen.
»Wahrscheinlich ist es keine gute Idee, wenn wir allzu viel
Zeit privat miteinander verbringen, Liebling«, murmelte sie an
seiner Schulter, als sie zusammen in seiner schmalen Koje lagen.
»Wenn alle anderen im Einsatz sind, dürften sie wohl kaum
Notiz von uns nehmen, aber in der übrigen Zeit…« Seine
Schultern spannten sich und verrieten ihr, dass er verstanden
hatte.
»Wir müssen uns irgendetwas einfallen lassen«,
erwiderte er. »Das können wir doch, oder?«
»Ja.« Sie schwieg kurz, um seine Schulter zu
küssen. »Aber wir dürfen nicht riskieren, dass dich
irgendein prüder, bigotter Mensch wegen ungehörigen
Verhaltens einsperrt oder den Admiralstab davon überzeugt, dass
ich eine billige Hure bin, die man begrapschen oder auch einfach
ungestraft ignorieren kann. Was gar nicht so weit von dem entfernt
ist, was manche sowieso schon denken.«
»Wer?« Martin wälzte sich mit grimmiger Miene
herum, um sie anzusehen. »Sag’s mir…«
»Sch.« Als sie ihm einen Finger über die Lippen
legte, zerriss ihm ihr Gesichtsausdruck einen Augenblick lang fast
das Herz. »Ich brauche keinen Beschützer. Haben deren
Vorstellungen schon auf dich abgefärbt?«
»Ich hoffe nicht!«
»Nein, das glaube ich auch nicht.« Sie kicherte leise
und schmiegte sich an ihn.
Einige Tage danach saß Martin allein in seiner Kabine,
dachte sehnsüchtig an Rachel und nippte bedächtig an seinem
Becher mit Kaffee, der schnell kalt wurde, als jemand an die Luke
klopfte. »Wer ist da?«, rief er.
»Post für den Ingenieur! Gehen Sie ins Büro des
Proviantmeisters!« Er hörte davoneilende Schritte und
gleich darauf eine Kakophonie von Geräuschen vom Ende des
Ganges.
»Hm?« Martin setzte sich auf. Post? Oberflächlich
betrachtet war das kaum möglich. Andererseits war ja alles auf
dieser Reise so gut wie unmöglich. Aus seinem Tagtraum
hochgescheucht, bückte er sich, um nach seinen Schuhen zu
suchen, und verließ gleich darauf die Kabine, um der
Störung auf den Grund zu gehen.
Mühelos fand er das Büro, in dem ein chaotisches
Gewimmel herrschte. Alle anwesenden Rekruten versuchten, sich die
eigene Post und die ihrer Freunde und Bekannten zu schnappen.
Inzwischen waren die Textdateien auf Papier ausgedruckt, das man
ordentlich in blaue Umschläge gesteckt hatte. Alle
Umschläge waren versiegelt.
Verwirrt suchte Martin nach irgendeinem Verantwortlichen.
»Ja?« Der viel geplagte Maat, der den Sortiertisch unter
sich hatte, sah von dem Stoß auf, den er gerade zu bündeln
versuchte, um ihn dem kaiserlichen Kurierschiff Godot zu
überstellen. »Ach, Sie. Da drüben, in dem
Behälter mit unsortierter Post.«
Er deutete auf eine kleine Kiste, die verschiedene Umschläge
enthielt; nicht zustellbare Schreiben für die Toten,
Verrückten und Menschen, die nicht der kaiserlichen Marine
angehörten.
Neugierig grub sich Martin durch den Stapel, bis er auf einen
recht dicken Umschlag stieß, der seinen Namen trug. Wie
seltsam, dachte er. Anstatt ihn sofort zu öffnen, nahm er
ihn mit in seine Kabine. Fast hätte er ihn nach dem Aufmachen
gleich wieder weggeworfen: Der Brief begann mit der verhassten Anrede
»Mein lieber Marty«. Nur eine einzige Frau hatte ihn jemals
so genannt. Zwar hatte er manche zärtliche Erinnerung an sie,
doch gleichzeitig brachte sie es fertig, ihn in bittere,
quälende Wut zu versetzen, sodass er sich später für
seine Gefühle schämte. Morag und er hatten sich vor acht
Jahren getrennt. Die gegenseitigen Vorwürfe und
Schuldzuweisungen hatten eine Mauer des Schweigens zwischen ihnen
errichtet.
Was konnte sie dazu bewogen haben, ihm jetzt zu schreiben? Sie war
stets ein Mensch gewesen, der alles im persönlichen
Gespräch ausmachte. Dagegen waren ihre E-Mails meistens knapp
gewesen und hatten vor Sätzen mit fehlerhafter Rechtschreibung
gestrotzt. Ihre emotionalen Ausbrüche hatte sie sich für
Gespräche unter vier Augen vorbehalten.
Verwirrt begann Martin zu lesen:
Mein lieber Marty,
seit meinem letzten Brief an dich ist schon viel zu viel Zeit
vergangen. Ich hoffe, du verzeihst mir. Ich hab viel um die Ohren
gehabt, wie man so sagt, vor allem auch deswegen, weil ich mich ja
um Sarah kümmern
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